Ein Virus hat unser aller Leben verändert. Womit tun Sie sich aktuell am schwersten?
Beate Meinl-Reisinger: Ich glaube, dass es für meine drei Kinder am schwersten ist. Sie sind ja komplett abgeschottet von ihren Freunden. Aber natürlich fragen auch wir Eltern uns, was wir mit den Kindern machen sollen. Denn, und das sage ich ganz offen: Home Schooling ist schlicht nicht machbar für Eltern, die von daheim aus arbeiten.
Der Kanzler hat gesagt, dass man seine Kinder auch mal in die Betreuung geben kann, wenn es nicht anders geht. Das sei "keine Schande".
Beate Meinl-Reisinger: Erstens bringt mir das nichts, wenn ich sie "mal" in die Betreuung geben kann - ich brauche Planbarkeit. Und zweitens schwingt beim Wort "Schande" schon ein "ihr bekommt das einfach nicht hin, oder?" mit. Dass die Kinder still und leise neben ihren berufstätigen Eltern lernen - so schaut die Realität einfach nicht aus. Es braucht dringend eine Perspektive - für Eltern und Kinder.
Mit einer solchen tut sich der Bildungsminister jedoch schwer, weiterhin ist unklar, wann die Schulen wieder öffnen.
Beate Meinl-Reisinger: Es erwartet ja auch niemand, dass von heute auf morgen alles aufsperrt. Aber es braucht einen Stufenplan. Die haben wir aktuell auch schon für den Sport, aber nicht für die Schulen - das muss man sich einmal vorstellen. Es geht um Planbarkeit. Vor allem, wenn der Handel jetzt wieder öffnet.
Bis dahin will Bildungsminister Faßmann Schülern ohne Laptops und Tablets eben diese zur Verfügung stellen - jedoch nur für jene in Bundesschulen. Ist das gerecht?
Beate Meinl-Reisinger: Gerade in Zeiten der Krise offenbaren sich die Schwachstellen unserer Republik. Jetzt zeigen sich Dinge wie die fehlende Pandemie-Planung und Versäumnisse im digitalen Lernen - und eben auch die Nachteile des Föderalismus. Aber einige Länder handeln hier zum Glück. Die Geräte sind essenziell, sonst fallen Kinder einkommensschwacher Eltern noch mehr zurück. Das käme einer Chancenvernichtung für eine ganze Generation gleich.
In besagten Zeiten der Krise hat die Regierung zahlreiche Maßnahmen im Eiltempo ergriffen, einige davon sind laut Experten verfassungswidrig. Kanzler Kurz hat um Nachsicht gebeten. Wie viel Nachsicht lassen Sie walten?
Beate Meinl-Reisinger: Gar keine, wenn ein Bundeskanzler solche schnoddrigen Dinge sagt. Das geht einfach nicht. Natürlich können bei dieser Geschwindigkeit Fehler passieren. Aber es ist doch bitte die Aufgabe einer Regierung, verfassungskonform zu handeln - gerade in einer Krise. Alles andere ist Willkür. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind kein Schönwetterprogramm.
Ein Experten-Rat soll die Gesetze nun prüfen, in dem auch Ex-Justizminister Jabloner sitzt. Und der sieht bereits Verbesserungsbedarf. Müssen die Gesetze repariert werden?
Beate Meinl-Reisinger: Ja, unbedingt. Und die Regierung muss vor allem klar stellen, was verboten ist und was nicht. Aktuell kommt es hier immer wieder zu Verwirrung. Aber ich frage mich schon, warum es einen Experten-Rat braucht, wo es doch eigentlich eine Kanzleramtsministerin gibt, die für Verfassung zuständig ist, und einen Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt.
Wie schwer fällt der Opposition die parlamentarische Kontrolle, wenn sich aktuell alle Macht bei der Regierung zentriert?
Beate Meinl-Reisinger: Das ist natürlich nicht leicht, aber umso wichtiger. Denn gerade in Zeiten der Krise zeigt sich die Bereitschaft einer Regierung, transparent zu handeln. Dass die ÖVP wenig Interesse daran und am Beschränken der eigenen Macht hat, ist wenig überraschend. Aber jetzt werden Schritte gesetzt, die dem Macht- und Einflussbereich der ÖVP zugute kommen. Und wir müssen alles daran setzen, dass das nicht passiert. Ich will nicht, dass am Ende dieser Krise das ganze Land türkis eingefärbt ist.
Bis dahin leidet die Wirtschaft, die mit 38 Milliarden am Laufen gehalten werden soll. Wird das ausreichen?
Beate Meinl-Reisinger: Das kommt sehr darauf an, wie der Fahrplan bei uns und in unseren Nachbarländern aussieht. Wenn wir alle so lange im Lockdown gehalten werden, bis es einen Impfstoff gibt, also ein oder zwei Jahre, dann schlittern wird in die größte Rezession seit den 30er Jahren. Dann wird das Geld bei weitem nicht ausreichen.
Wie sollen diese Milliarden finanziert werden? Mit einer Erbschaftssteuer können Sie ja wenig anfangen.
Beate Meinl-Reisinger: Ich finde es makaber, dass man gerade jetzt, wo Menschen sterben, über eine Erbschaftssteuer diskutiert. Ich verstehe die Idee, glaube aber, dass wir uns nach der Krise erst anschauen müssen, was vom Vermögen im Staat überhaupt noch übrig ist.
Handel, Schulen, Bewegungsfreiheit: Können Sie sich eine Rücknahme der Beschränkungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorstellen, wie von Landeshauptmann Kaiser gefordert?
Beate Meinl-Reisinger: Ja, denn die Lage in Wien ist ja eine ganz andere als die im Waldviertel. Ich glaube, dass es hier unbedingt die nötige Flexibilität braucht, um möglichst schnell wieder zum Normalzustand zurückzufinden.
Der Termin für die Wien-Wahl ist fix - 11. Oktober. Wie wird sich der Virus auf den Wahlkampf auswirken?
Beate Meinl-Reisinger: Die finanzstarken großen Parteien werden einen eklatanten Vorteil haben, weil sie sich mehr Wahlwerbung leisten können. Aber wir sind in Wien trotzdem gut aufgestellt. Und ich bin froh, dass es einen Termin gibt. Das zeigt, dass die Demokratie auch vor dem Virus nicht in die Knie geht. Ein Wahlkampf ohne direkten Kontakt zum Wähler und ohne Wahlparty würde ich jedoch furchtbar finden. Aber generell sage ich Ihnen: Wenn der Virus überstanden ist, feiern wir alle eine große Freiheitsparty. Und auf die freue ich mich schon.