Robert Habeck jubelte. „Die Grünen in Österreich wollten das größte politische Comeback der Zweiten Republik erreichen und sie haben es!“ Überschwänglich gratulierte der Chef der deutschen Grünen noch am Wahlabend der Schwesterpartei zum „bärenstarken Ergebnis“.

Österreich ist freilich kein Einzelfall. Die Farbe Grün hat politisch Konjunktur in Europa. Vor allem in Deutschland, wo die Ökopartei in acht Ländern mitregiert, in Hessen und in Baden-Württemberg, wo sie mit Winfried Kretschmann gar den Ministerpräsidenten stellt, in schwarz-grüner Konstellation.

Deutsche Grüne im Umfragenhoch

Wäre am Sonntag Bundestagswahl, lägen die deutschen Grünen, die 2017 noch als kleinste Kraft in den Bundestag einzogen, lauf ZDF-Politikbarometer mit CDU/CSU gleichauf bei 27 Prozent. Da nimmt es nicht wunder, dass manche Habeck schon als nächsten Kanzler handeln. Und dass man in Berlin gespannt verfolgt, ob in Österreich Schwarz-Grün im Bund Gestalt annehmen wird.

Für Deutschland wäre das ein Novum, nicht aber für Europa. In Irland, Tschechien, Finnland und Lettland regierten die Grünen bereits mit den Konservativen, meist währte das koalitionäre Glück aber nicht lange.

Die Gründe für den gegenwärtigen Höhenflug der Grünen sind vielfältig. Neben der Schwäche der politischen Gegner, allen voran der Sozialdemokraten, einer Öffnung nach mehreren Seiten und Führungsgestalten, die weit ins bürgerliche Lager hin ausstrahlen, dürfte der in Europa spürbare Klimawandel eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Und so hat die grüne Welle längst das Zentrum der EU erreicht.

Plötzlich reden auch in Brüssel alle vom Klima

Trinkhalme, Partyteller, Wegwerfbesteck - kaum eine Richtlinie aus Brüssel hatte je ein so positives Echo wie die im Frühjahr beschlossene „Einwegplastik-Richtlinie“. Das Verbot ist ein politischer Idealfall für die mit der Akzeptanz weiter Bevölkerungsteile kämpfende EU: Es vermindert die plakativ darstellbare Vermüllung der Weltmeere und gibt dem Bürger das angenehme Gefühl, etwas Sinnvolles zum Umweltschutz beizutragen - ohne große Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Und natürlich kann man sagen: Das ist erst der Anfang. Der Umweltschutz, Herzstück der Grünparteien, ist salonfähig geworden, die Folgen des Klimawandels sind ein allgemein anerkanntes Problem, das es zu lösen gilt. Bei Entscheidungen mit massiveren Auswirkungen für Wirtschaft und Bevölkerung, etwa CO2-Ziele, ist es mit der Einigkeit aber nicht mehr so weit her. Fast alle gehen davon aus, dass man handeln muss, aber über das nötige Ausmaß scheiden sich die Geister.

Im EU-Wahlkampf kam keiner an „grünen“ Themen vorbei, der Zugewinn der Grünen war dann signifikant. So verdoppelten sie in Deutschland mit 20,5 Prozent furios ihr Ergebnis der EU-Wahl 2014. In Frankreich stießen sie mit 13 Prozent auf den dritten Platz vor. In Großbritannien erreichten sie 12,4 Prozent. Und auch in Irland, den Niederlanden und Österreich fuhren sie zweistellige Werte ein.

Wird ganz Europa grün eingefärbt?

Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde in ihrer eigenen EVP-Fraktion sogar zum Vorwurf gemacht, sie biedere sich den Grünen an: Mit dem 28 Jahre alten Litauer Virginijus Sinkevicius holte sie nach ewigen Zeiten wieder einen dem Grün-Lager zurechenbaren Kommissar ins Team, zuständig für Umwelt und Ozeane, und hat einen „Green Deal“ als einen ihrer Schwerpunkte ausgerufen.

Wird ganz Europa also grün eingefärbt? Haben die grünen Ideen, angefeuert durch die „Fridays for Future“-Bewegung Greta Thunbergs, ein Umdenken in der EU bewirkt? Skepsis ist angebracht. Nicht nur, weil die östlichen Mitgliedsländer keinerlei Paradigmenwechsel erkennen lassen. Auch im Süden bleibt der Umweltgedanke schwach ausgeprägt. Andere lebensunmittelbare Themen wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit dominieren. Grün ist Europa vor allem im wohlhabenden Norden.

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