Ankerzentrum, das: Begriff aus dem Poesiealbum der Großen Koalition in Deutschland. Etwas Unangenehmes angenehm sagen: Hinter dem sprachlichen Blendwerk verbirgt sich die Kasernierung von Ankommenden, um in zentralen Einrichtungen deren Schutzwürdigkeit schnell und rechtssicher abzuklären. Bewusst wurde mit dem Wort „Anker“ ein positiv besetztes Sprachbild gewählt. Anker geben Halt und Festigkeit. Sie sorgen allerdings auch dafür, dass etwas festgehalten wird, und dieses Etwas ist kein Schiff, sondern ein Ankommender. Der Begriff Anker entstand an der Werkbank findiger Linguisten, und zwar durch ein Akronym, die Aneinanderreihung der Begriffe Ankunft, Entscheidung, Rückführung (AnkER). Für die SPD war die sprachliche Neuschöpfung samtig genug, um sich mit dem, was der Begriff verschleiert, abzufinden.

Ein Europa, das schützt: Das Motto des österreichischen EU-Ratsvorsitzes. Es ist ein Paradebeispiel für die Umdeutung von Sprache, eingesetzt zur Umdeutung von Wirklichkeit. So wurde der Begriff Schutz bisher in der Debatte fast ausschließlich auf Migranten bezogen, die in Europa Zuflucht suchen. Plötzlich wird das Wort aus dem gewohnten Kontext gehoben und radikal umgepolt. Nicht die Flüchtlinge sind die Bedrängten und Bedrohten, sondern der wohlhabende Kontinent und seine Bürger. Sie sind es, die des Schutzes bedürfen. Und schon sind alle Bilder auf den Kopf gestellt, alles Denken, alles Fühlen. Was bleibt, sind Schwindelgefühle, auf die die Politik ihre Parolen aufsetzt.

Asyltouristen, die: Verächtliche Bezeichnung für Asylwerber, die vom Ort der Erstankunft an Europas Peripherie weiterziehen in Länder, die Sehnsüchte und Hoffnungen auslösen. Sie sind stärker als die ihnen Einhalt gebietende Verordnung, benannt nach der irischen Stadt Dublin. Horst Seehofer hat die zynische Verschmelzung der Worte Asyl und Touristen als Fehler einbekannt. Zu spät, um das toxische Kompositum aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu löschen.

Achse der Willigen und Tätigen, die: Ideologischer Schulterschluss zwischen Bayern, Österreich und Rom, der schon nach kurzer Zeit brüchig wurde. Die Achsen-Metapher, mit der man die Allianz sprachlich parfümierte, machte eine Nachschulung in Zeitgeschichte notwendig. Aus der Achse wurde hastig eine Kooperation. Auch sie blieb rhetorisch. Willige und Tätige sind Bezeugungen der eigenen Tugendhaftigkeit. Damit werden die anderen in der Gemeinschaft als unwillig und untätig gebrandmarkt, ohne dies aussprechen zu müssen. Das Ungesagte ist deutlich genug.

Paradigmenwechsel, der: Akademisch verbrämte, pseudowissenschaftliche Bezeichnung für eine Verschärfung der europäischen Flüchtlingspolitik, ausgelöst durch einen Stimmungswandel in der EU. Von einem Paradigmenwechsel spricht die Wissenschaft, wenn sich die Grundauffassung einer Sache radikal ändert. Hier ist es die Erkenntnis, dass sich die Grenzsicherung eines Gebildes, das sich als gemeinsamer Raum begreift, nur über die äußeren Grenzen durchführen lässt, und das nur gemeinsam. Diese Erkenntnis ist kein Paradigmenwechsel, sondern eine Binsenweisheit. Sie war allen bewusst. Nur ist aus dem Wissen nie politisches Handeln geworden. Jetzt vielleicht.

Ausschiffungszentren, die: Holpertatschige Übersetzung der englischen „disembarkation centers“, alternierend verwendet mit dem nicht minder sperrigen „Anlandezentrum“. Sollen nur in fernen Ländern jenseits des Mittelmeers stehen und - zumindest sprachlich - weit schöner klingen als die schnöden Flüchtlingslager, die sie sind. Flüchtlingslager, das klingt nach irgendetwas, das Länder der Dritten Welt bauen, um ihre Nachbarn aufzunehmen - aber wenn Europa etwas baut, um auf See aufgegriffene Menschen dorthin zurückzubringen, dann ist das doch sicher kein Lager, sondern mindestens ein „Zentrum“, wo es zivilisiert zugeht. Überraschend ist nur, dass sich die Staaten in Nordafrika irgendwie trotzdem nicht um solche Zentren reißen. Vielleicht braucht es ein noch besseres Wort.

Migranten, die: Sprachpolitisch der schwierigste Begriff überhaupt. Wer von „Flüchtlingen“ oder gar „Geflüchteten“ spricht, impliziert ja schon, dass sie einen Grund haben könnten, der ihnen nach der Genfer Konvention Schutz zusprechen würde. Der „Asylant“, in Österreich schon von Jörg Haider als schlimmstes Feindbild auserkoren, ist inzwischen schon so verpönt, dass ihn nicht einmal mehr Populisten ernsthaft strapazieren. Bleiben also die Migranten: Im Kern ist das ja dankbarerweise jeder, der irgendwie auf dem Weg von irgendwo irgendwohin ist. Erstaunlicherweise redet aber trotzdem kaum jemand von Migranten, wenn Deutsche nach Österreich übersiedeln oder umgekehrt Österreicher auswandern. Ob das eventuell damit zu tun haben könnte, dass bei „Migrant“ schon seine Steigerung, der „Wirtschaftsmigrant“ mitschwingt, dem es bloß ums Geld geht, nicht so sehr um Sicherheit?

Pull-Faktor, der: War man früher durchaus stolz darauf, dass die hiesige Gesellschaft niemanden durchs soziale Netz fallen ließ, hat sich in den vergangenen Jahren die Erkenntnis verfestigt, dass ein großzügiger Sozialstaat ein Land tatsächlich nicht nur im Inland attraktiv macht. Flugs wurden aus solchen Leistungen, von Mindestsicherung bis Familienbeihilfe, plötzlich „Pull-Faktoren“, die Menschen aus aller Welt nach Europa, und da speziell nach Österreich, ziehen. Dass es eben solche Pull-Faktoren sind, die es Österreich ermöglichen, sein Pflegesystem mit ausländischer Hilfe überhaupt zu erhalten, fällt im Eifer, solche Faktoren zu eliminieren, schon einmal unter den Tisch.

Routen, die: In einer eindimensionalen Darstellung die Einfallstore, über die Menschen nach Europa strömen. In der Regel kombiniert mit bekannten geografischen Merkmalen, damit man die Richtung grob erahnen kann, aus der da wer kommt. Das Beste an ihnen: Man kann sie schließen (oder zumindest so tun) und so Wahlen gewinnen. Noch besser: Die Erklärung, man habe eine Route geschlossen, läuft sich nie tot und eignet sich somit perfekt für die politische Kommunikation.

Sogenannte Seenot-Retter, die: Schafft es (siehe auch „Willkommensklatscher“), Engagement von allen anderen als Regierungen auf dieselbe Stufe zu stellen wie das organisierte Schlepperwesen. Häufig in Verbindung mit „ist doch längst Teil des Geschäftsmodells“. In Italien werden manche der sogenannten inzwischen wegen Schlepperei belangt. Täuscht über Alternative hinweg: dass viele Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Hetze, die: Ursprünglich ein Verweis auf eine Straftat, inzwischen aber zum Kampfschrei gegen alles mutiert, das irgendwie nicht ins eigene Weltbild passt. Solcherart Geheißenes gehört natürlich verboten und darf nicht einmal mehr diskutiert werden. Ende jeder Debatte.