Was ist los bei den Grünen? Van der Bellen sitzt in der Hofburg, die Grünen sitzen in vielen Landesregierungen, die EU-Wahl ging gut aus. Haben die Erfolge die Krise auf Bundesebene nur kaschiert?
FRITZ PLASSER: Ich teile Ihre These, das waren nur scheinstabilisierende Erfolge. In den Ländern konnten sich die Grünen profilieren und haben sich als regierungskompetent erwiesen. Der Eindruck auf Bundesebene ist deutlich verschwommener.
Was ist falschgelaufen?
Die Grünen haben es verabsäumt, ihre Kernkompetenz zu reaktualisieren in den Bereichen Umwelt, Klimawandel, Energieverschwendung, Nachhaltigkeit bis hin zu Fragen der Lebensmittel und der Landwirtschaft. Bei der dritten Piste hätten die Grünen in alter Tradition mehr Aktionismus an den Tag legen können. Thematisch gab es Phasen, wo die Grünen überhaupt nicht präsent waren, weil der Diskurs woanders gelaufen ist - ich denke an die Flüchtlingskrise. Sosehr man die Bemühungen um Flüchtlinge wertschätzen muss, man hätte sich angesichts der sehr großen Emotionen in der Bevölkerung für einen realistischeren, pragmatischeren Zugang entscheiden müssen.
Die Basisdemokratie ist - siehe die Abstimmung in Linz, bei der Pilz den Kürzeren zog - zum Bumerang geworden?
Absolut, sie ist zum Boomerang geworden. Ich darf nur daran erinnern, dass Van der Bellen in seinen ersten Jahren als Parteiobmann versucht hat, strategisch relevante Entscheidungen von Zufallsmehrheiten in Mitgliederversammlungen abzukoppeln. Jetzt kann man sagen, das ist der Reiz von der Basisdemokratie, aber das ist sehr naiv, denn basisdemokratische Ergebnisse können, ich will nicht sagen auf Intrigen, aber auf internen Vorformierungen basieren.
Wie schätzen Sie die Chancen von Peter Pilz ein?
Prognosen sind schwierig, aus heutiger Sicht dürfte die Liste Pilz auf sechs bis sieben Prozent kommen. Den Grünen droht ein echtes Debakel. Ich rechne am Wahlabend mit einer interessanten Konstellation, nämlich mit drei mittelgroßen Parteien - SPÖ, ÖVP, FPÖ - und drei kleinere Parteien - Grünen, Neos, Pilz. Ich schließe nicht aus, dass die Liste Pilz knapp vor den Grünen und den Neos landet. Das wäre für die Grünen ein unglaublicher Rückschlag. Es würde vielleicht nicht zur Neugründung der Grünen führen, aber es würde substanzielle Veränderungen in den nächsten Jahren nach sich ziehen.Wem nimmt Pilz Stimmen weg?
Zum größeren Teil den Grünen, die direkt zu ihm wandern. Es gibt noch einen zweiten Typus von Grün-Wählern, und zwar jene, die in den letzten Monaten zur SPÖ gegangen sind und jetzt zu Pilz. Die SPÖ wird es auch spüren.
In welcher Höhe?
Ich bitte, mich nicht festzulegen, aber Kern wird es mehr spüren als Kurz. Spüren werden es beide. Für das Endergebnis am Wahlsonntag dürfte sich dadurch nichts ändern - wie ich überhaupt meine, dass der Abstand zwischen Kurz und Kern am Wahlabend sehr viel knapper ausfallen wird, als es heute die Umfragen besagen.
Ist die Liste Pilz der Nukleus einer Art Linkspartei?
Ich sehe die Liste nicht als Linkspartei, eher als linkspopulistische Partei. Im Nationalrat war dieser Typus bisher nicht vertreten, da kommt nach dem 15. Oktober ein neues Element dazu. Mit seinen Positionierungen ist Pilz inhaltlich auch eine Herausforderung für die SPÖ auf ihrem Weg nach rechts. Von den ideologischen Positionierungen her wird es nach der Wahl im Nationalrat ein neues parlamentarisches Spektrum geben, Pilz bringt eine neue Qualität hinein.