Bundeskanzler Christian Kern hat im koalitions- und inzwischen auch SPÖ-internen Streit um eine Flüchtlingsumverteilung die Initiative ergriffen. In einem Brief an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der der Kleinen Zeitung vorliegt, erinnert der Kanzler daran, dass sich Österreich "bei der Bewältigung der Migrationsströme besonders solidarisch gezeigt" habe. Ein kurzes Gespräch haben Kern und Juncker darüber bereits geführt, Kern fordert ein Treffen in allernächster Zeit.
In der Koalition herrscht nach wie vor Eiszeit: ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka hält von der Initiative Kerns wenig. Das Ersuchen, dass Österreich von der Verpflichtung ausgenommen werden soll, gehe ins Leere. "Die EU ist ein Rechtskonstrukt mit rechtlichen Regeln, nach denen vorgegangen werden muss", im Schreiben an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker finde sich aber lediglich eine politische Argumentation, meinte Lopatka. Der Brief sei daher "irrelevant".
Ungarn und die Slowakei wehrten sich gegen das Relocation-Programm mit einer Klage: "Dieser könnten wir uns anschließen. Dann wäre allerdings der Bundeskanzler in einem Boot mit Robert Fico und Victor Orban. Ich glaube nicht, dass sich der Bundeskanzler da wohlfühlen würde."
Eine Kommissionssprecherin würdigte indes die Leistungen Österreichs, die zu einer vorübergehenden Ausnahmeregelung geführt hätten. Nun werde von Österreich aber erwartet, dass es seine Vepflichtungen innerhalb des "Relocation-Programmes" vollständig umsetze. Kein Land könne sich aus der Umverteilung zurückziehen. Dies wäre nur möglich, wenn ein Land außerhalb des gesetzlichen Rahmens agiere. Dabei wären Konsequenzen nicht ausgeschlossen.
Klagen drohen
Sollte allerdings Österreich im Fall der weiteren Nicht-Umsetzung der Relocation ein Vertragsverletzungsverfahren drohen, müsste dies auch für mehrere andere EU-Länder gelten, die ebenfalls bisher keinen einzigen Flüchtling aus dem Programm aufgenommen haben. Dies trifft Ungarn und Polen. Aber auch die meisten anderen Staaten sind weit von der Erfüllung der Zielquote entfernt. Das Programm soll am 26. September 2017 auslaufen. Sogar die Kommission rechnet im besten Fall damit, dass von den knapp 100.000 zu verteilenden Migranten aus Italien und Griechenland lediglich gut 44.000 von den anderen Staaten aufgenommen werden könnten, wobei diese optimistische Prognose von einer deutlichen Steigerung der bisherigen Entwicklung ausgeht. Bei einer gleichbleibenden Entwicklung würden es weniger als 25.000 sein.
Bekanntlich soll Österreich im Zuge des EU-Umsiedlungsprogramms (Relocation) knapp 2000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland übernehmen. "Eine Beteiligung Österreichs an der Umsiedlung zugunsten Italiens und Griechenlands", argumentiert Kern, "sei im Sinn der europäischen Solidarität nicht gerechtfertigt". Durch die Aufnahme der vielen Flüchtlinge, die ja ausgerechnet aus Italien und Griechenland gekommen sind, habe Österreich die beiden Länder ohnehin bereits entlastet. "Österreich hat zu einer erheblichen und über das Siedlungsprogramm hinausgehende Entlastung der beiden Mitgliedsstaaten beigetragen", so Kern im Schreiben an Juncker.
"50 nehme ich sofort in Ottakring"
Dass die Bundesregierung an der vereinbarten Flüchtlingsumverteilung ("Relocation") nicht mehr teilnehmen möchte, sorgt beim Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) für Unverständnis. "Wir haben uns an geltende Beschlüsse zu halten", mahnte er im Gespräch mit dem "Standard". Zusatz: "Die 50 nehme ich sofort in Ottakring."
Häupl bezieht sich dabei auf den jüngsten Anlassfall, in dem es um
50 unbegleitete Minderjährige ging. Häupls Vorstoß ist nicht ohne Ironie: Es sind Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und Bundeskanzler Christian Kern, die den Einstieg propagiert haben. Innenminister Wolfgang Sobotka folgte widerstrebend der Idee. Gleichzeitig verwies Häupl drauf, dass man sich "nicht sang- und klanglos" von EU-Beschlüssen verabschieden könne.
Darauf nahm postwendend auch Lopatka Bezug: Es wäre besser gewesen, den Kern-Brief an den Ottakringer Bezirksvorsteher zu richten.