Anis Amri war als islamistischer Gefährder eingestuft, deutsche Sicherheitsbehörden hatten den 24-Jährigen monatelang im Visier, gegen ihn wurde sogar wegen Terrorverdachts ermittelt. Doch all dies konnte den am Donnerstag weiter fieberhaft gesuchten Tunesier offenbar nicht an dem verheerenden Anschlag vom Montag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt hindern.

Verdächtiger war "hoch mobil"

Laut dem nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) war Amri nach seiner Einreise 2015 in Deutschland "hoch mobil". Offenbar zu mobil für die Behörden: Denn der Terrorverdächtige, der in Berlin bis zum September polizeilich observiert wurde, konnte anschließend untertauchen - obwohl über den derzeit meistgesuchten Mann Europas Informationen auch im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern ausgetauscht wurden, laut Jäger zuletzt im November.

Eine der zentralen Fragen im Fall Amri lautet daher, warum eine lückenlose Überwachung des abgelehnten Asylbewerbers nicht erfolgte - und ob sie überhaupt möglich war. Aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die im März ein Ermittlungsverfahren gegen Amri einleitete, war eine weitere Observierung des Tunesiers über den September hinaus schon aus rechtlichen Gründen nicht machbar.

Observation nicht möglich

Die "umfangreichen Überwachungsmaßnahmen" hätten trotz Verlängerung keine Hinweise auf staatsschutzrelevante Tatpläne des 24-Jährigen erbracht, argumentieren die Berliner Strafverfolger. Daher habe keine Grundlage für eine weitere Verlängerung der Kommunikationsüberwachung und der Observation bestanden - mit der Folge, dass die Überwachungsmaßnahmen "schließlich im September beendet werden mussten". Für eine Observation ist im Regelfall eine gerichtliche Anordnung erforderlich.

Obwohl das Berliner Ermittlungsverfahren gegen Amri letztlich ins Leere lief, war der Tunesier mit Kontakten in die radikalislamische Salafistenszene laut Jäger noch im vergangenen Monat ein Thema im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) mit Sitz in Berlin. In der Einrichtung arbeiten seit 2004 Antiterrorspezialisten aus allen Bereichen zusammen.

In die Arbeitsabläufe des Abwehrzentrums sind der Bundesnachrichtendienst (BND), die Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt, der Militärische Abschirmdienst, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und auch der Generalbundesanwalt eingebunden. Vertreter der einzelnen Behörden tauschen sich im GTAZ über die Sicherheitslage ebenso wie über konkrete Fälle aus und kommen regelmäßig, aber auch spontan zu Lagebesprechungen zusammen.

Warum sich Amri dennoch nicht im Netz der Sicherheitsbehörden verfing und ob es im Fall des Tunesiers vielleicht eher individuelle als strukturelle Fehler gab, muss die Aufarbeitung der Geschehnisse in den kommenden Wochen zeigen. Fest steht offenbar, dass der mutmaßliche Todesfahrer beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt nicht nur für die deutschen Behörden kein unbeschriebenes Blatt war.

US-Geheimdienste hatten den Tunesier im Blick

Denn nach Informationen der "New York Times" hatten auch die US-Geheimdienste den Tunesier im Blick: Amri habe im Internet nach Anleitungen für den Bau von Sprengsätzen gesucht, berichtete das Blatt unter Berufung auf Offizielle, die anonym bleiben wollten.

Außerdem sei der 24-Jährige mindestens einmal über einen Messengerdienst mit der Jihadistenmiliz Islamischer Staat in Kontakt getreten - und sein Name habe auch auf der Flugverbotsliste in den USA gestanden.