Die Bundesregierung hat gerade noch die Kurve gekratzt. Nach dem nahezu fahrlässigen Auftritt am Sonntag gehen nun doch im Osten die Grenzbalken nieder und werden Soldaten an die Grenze zu Ungarn und Slowenien geschickt.
Dass man sich davon keine Wunder erwarten kann, weiß in der Zwischenzeit jeder. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich ein moderner Rechtsstaat fatalistisch zurücklehnen („da kann man eh nichts machen“) und vor den Ereignissen kapitulieren darf. Zumindest muss der Versuch unternommen werden, die Wanderungsströme einigermaßen zu kanalisieren.
Entscheidender ist die Signalwirkung an die eigenen Bevölkerung und an jene, die sich in Richtung Europa aufmachen wollen. „Wir schaffen es“, hatte Angela Merkel vor einer Woche noch vollmundig gemeint. Das Gegenteil ist jetzt der Fall - und das sehr kurze Sommermärchen beendet.
Dass die österreichische Bundesregierung erst gestern die Notbremse gezogen hat, grenzt nahezu an Fahrlässigkeit. Am Sonntag versuchte der Kanzler die Öffentlichkeit mit der Bemerkung zu beschwichtigen, Deutschland nehme eh auch künftig alle Flüchtlinge auf. Die Innenministerin biss mit ihrem Flehen nach einem Gleichklang mit dem deutschen Nachbar beim Koalitionspartner auf Granit.
Doch die bittere Realität in Nickelsdorf, Heiligenkreuz und Freilassing und die Meldungen aus Ungarn zwangen den Kanzler zur bitteren Kehrtwende. Der Versuch, sich in Abgrenzung zu Orban als Gralshüter der Humanität zu inszenieren und deshalb vor scheinbar „grauslichen Maßnahmen“ an der Grenze zurückzuschrecken, scheiterte kläglich.
Womöglich wird in diesen Stunden auch Schengen zu Grabe getragen. Dass die EU die Europäer jetzt aus der Patsche hilft, entspringt einem naiven Fortschrittsglauben. Statt nun den großen europäischen Schulterschluss zu wagen, dürften sich die einzelnen Länder nun erst recht hinter ihren Grenzzäunen einbunkern. Die EU durchlebt gerade die größte Krise der Geschichte. Vielleicht sind jetzt auch die Tage der EU gezählt.
MICHAEL JUNGWIRTH