Der Lehrerkonflikt und die Ansprachen zum 1. Mai sind noch kaum verklungen, da rückt die Gewerkschaft schon wieder zu einem Großereignis aus: Morgen, Mittwoch, soll in Wien gegen das Dahindümpeln der Lohnverhandlungen demonstriert werden. Aufgerufen sind die Beschäftigten aus nicht weniger als zehn Branchen - man rechnet mit 15.000 Teilnehmern. Auch inhaltlich soll es ein machtvoller Auftritt inmitten der Krise werden. Dass die Gewerkschaft in diesen Wochen neues Selbstvertrauen gefasst hat, ist mit Händen zu greifen. Zwar kann sich kein Gewerkschafter über die Krise und die vielen Arbeitslosen freuen, die politische Klimaveränderung hat aber - gleichsam als Kollateralnutzen - Rückenwind für die Arbeitnehmerbewegung erzeugt.

Aufwind. "Die Menschen suchen wieder Schutz", diagnostiziert Sabine Oberhauser, die beim ÖGB-Kongress Ende Juni zur Vizepräsidentin des Gewerkschaftsbundes gewählt werden soll. "Sie wissen zwar nicht, ob der ÖGB die Rettung ist, aber sie sind wieder bereit, die Hand zu ergreifen und es zumindest zu versuchen." Damit stehen die heimischen Gewerkschafter nicht allein - international spüren die Arbeitnehmerbewegungen im Gefolge der Krise Aufwind. Der Deutsche Gewerkschaftsbund mischt in der Berliner Politik kräftig mit, in Frankreich gibt es nach den Aufsehen erregenden "Manager-Geiselnamen" viel Zulauf.

Mitgliederschwund. Dabei hat es bis vor Kurzem nicht unbedingt nach einer Renaissance ausgesehen. Der ÖGB hat schwere Zeiten hinter sich - Stichwort Bawag-Skandal. Das Jahr 2006 würde man sowieso am liebsten aus der Chronik streichen: An die 50.000 Mitglieder kehrten der Gewerkschaft den Rücken. Im Jahr 2007 betrug der Aderlass noch ein mal 24.200 Personen, mit 1,247.795 Mitgliedern war ein Tiefpunkt erreicht. Dann kam auch noch Alfred Gusenbauer und demütigte die sozialdemokratische Gewerkschaftsfraktion: Per Präsidiumsbeschluss wurde verfügt, dass SP-Spitzengewerkschafter kein Nationalratsmandat innehaben dürfen.

Kraftprobe gewonnen. Wie die Kraftprobe ausging, ist bekannt: Gusenbauer ist Geschichte, sein Nachfolger Werner Faymann leitete umgehend die Versöhnung von Partei und Fraktion ein. Die Gewerkschaftschefs haben ihre Mandate wieder und ÖGB-Boss Rudolf Hundstorfer rückte sogar ins Amt des Sozialministers auf. Bei den EU-Wahlen kandidiert Evelyn Regner, die Chefin des ÖGB-Büros in Brüssel, auf Platz zwei der SP-Liste. Zur einstigen Stärke fehlt freilich noch so manches. Anton Benya etwa, der mächtige Altvordere des ÖGB, war 24 Jahre lang Gewerkschaftsboss (1963 bis 1987). Daneben war er zeitweise auch Nationalratspräsident in Personalunion und konnte nach Belieben den Takt der Politik vorgeben. Diese Zeiten sind vorbei. Auch bei den Mitgliederzahlen weist der Trend noch nicht nach oben: Die Zahlen für 2008 werden zwar erst beim ÖGB-Bundesvorstand am 18.Mai gelüftet, schon jetzt ist aber klar, dass wohl wieder ein Minus vor dem Saldo stehen wird. Immerhin bedeutet ja jeder Arbeitslose auch den Verlust eines (potenziellen oder realen) Gewerkschaftsmitglieds. Das Problem, wie eine Arbeitnehmerbewegung Arbeitslose vertreten kann, ist trotz manchen Anläufen ungelöst.

2.000 Unterschriften. Wieder intakt scheint dagegen die Mobilisierungskraft der Gewerkschaft zu sein. Und das nicht nur bei Demonstrationen. Ende März wurde beispielsweise von fünf Gewerkschaften eine Initiative zur Schaffung einer Arbeitsstiftung für Zeitarbeiter gesetzt. Bis gestern hatten 2.097 Menschen unterschrieben - immerhin.