Bis auf 80 Kilometer sind die Taliban schon an die pakistanische Hauptstadt Islamabad herangerückt. In den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze haben sie ebenso das Sagen wie im Swat-Tal im Norden des Landes. Von Swat aus haben die Aufständischen im Nachbardistrikt Buner die Kontrolle übernommen, wo inzwischen bewaffnete Taliban patrouillieren. Pakistan bereitet sich auf eine Fluchtbewegung ungeahnten Ausmaßes vor. Bis zu 800.000 Binnenflüchtlinge werden wegen der Militäroffensive befürchtet.

110 Tote. Allein am Mittwoch sollen bei Gefechten 110 Menschen, darunter 35 Zivilisten getötet worden sein. Die Taliban, denen Menschenleben nichts zu bedeuten scheinen, führen zivile Opfer bewusst herbei, indem sie sie als Schutzschilde missbrauchen. Zwar hatten zumindest manche Einheimische im Norden Pakistans die Militäroperationen gegen die immer dreister auftretenden Taliban zunächst begrüßt. Doch die kritischen Stimmen nehmen mit der Zahl der Opfer und mit dem wachsenden Leid der Überlebenden zu. "Hier tobt ein Krieg. Wir haben kein Essen. Unsere Kinder sterben", sagte der Händler Abdul Rahman aus dem Distrikt Buner.

Gegen die Regierung. Wie immer mehr Pakistaner macht er nicht die Taliban oder die eigene Regierung für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. "Dies ist nicht unser Krieg", sagt Rahman. "Für wen kämpfen wir? Für die Amerikaner, deren Mägen voller gutem Essen sind und die mit ihren Familien in ihren gemütlichen Schlafzimmern schlafen". Genau diesen Eindruck eines von den USA aufgezwungenen Krieges wollen die Taliban vermitteln und die daher ohne Rücksicht auf Zivilisten auf eine Eskalation der Gewalt setzen - in Pakistan, aber auch in Afghanistan.

Interne Streitereien. Nach ihrem Antritt Anfang vergangenen Jahres verwandte die Regierung in Islamabad den Großteil ihrer Energie auf interne Streitereien, statt ihre Aufmerksamkeit den Aufständischen zu widmen. Inzwischen haben Extremisten im Norden und Nordwesten Pakistans nach einem vertraulichen Regierungsbericht, der auf Geheimdienst-Schätzungen basiert, bis zu 95.000 Kämpfer unter Waffen.

Zu spät? Spät - vielleicht zu spät - hat Präsident Asif Ali Zardari den Ernst der Lage erkannt. Sein Land kämpfe "eine Schlacht um das eigene Überleben", sagte er vor seinem Gespräch mit US-Präsident Barack Obama. Seine Regierung setzt in diesem Überlebenskampf auf Zugeständnisse an die Taliban - ein potenziell fataler Fehler, wie westliche Experten meinen.