Der Wiener Islamwissenschafter Mouhanad Khorchide, der durch seine Studie zur politischen Einstellung muslimischer Pädagogen bekanntgeworden ist, hat scharfe Kritik an der Entlassung eines Islam-Lehrers an einer Wiener Hauptschule durch die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) geübt. Der Mann, dem vorgeworfen wird, antisemitische Flugblätter an Schüler verteilt zu haben, sei "Opfer einer medialen Kampagne" geworden, so Khorchide am Samstag.

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Lehrer gefeuert. Der Islam-Lehrer war auf Aufforderung von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (S) durch die IGGiÖ gefeuert worden. Khorchide nannte das Austeilen solcher Zettel - angeblich handelte es sich um einen Boykott-Aufruf jüdischer Firmen - "inakzeptabel". Doch statt mit dem Lehrer darüber zu reden, sei dieser Opfer einer medialen Kampagne geworden und, "weil das Ministerium schnelles Handeln zeigen wollte", von der Schule geflogen. Diese "restriktive Maßnahme" sei unangemessen, so Khorchide am Rande eines Symposiums zum fünften Todestags von Kardinal Franz König.

Kündigung wegen Gastkommentar. Empört zeigte sich der Wissenschafter auch über die Kündigung jenes Islam-Lehrers einer Vorarlberger AHS, der aufgrund eines IGGiÖ-kritischen Gastkommentars in einer Zeitung nicht mehr als Religionslehrer unterrichten darf. "Das ist eine undemokratische Maßnahme", sagte Khorchide, dabei würde seiner Meinung nach gerade die Kritik von Innen zu Verbesserungen in der Glaubensgemeinschaft führen. "Das hat gezeigt, dass die Glaubensgemeinschaft mit so etwas nicht umgehen kann."

Keine eindeutige Wahrheit. Nur wenn es in einer Religion keine eindeutige Wahrheit gibt, hat das Gewissen überhaupt eine Aufgabe. Darin waren sich Walter Homolka, Rektor des Berliner Abraham Geiger Kollegs für Rabbiner-Ausbildung, und Khorchide in ihren Vorträgen beim Symposium einig. Khorchide betonte, dass weder die Scharia (religiös begründete Rechtssprechung) noch eine Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) dem Einzelnen ersparen dürfen, ihr Gewissen zu befragen. "Der Prophet Mohammed hat die Selbstverantwortung der eigenen Entscheidung betont", so Khorchide.

Kein unreflektiertes Befolgen. Die Scharia nannte er ein "menschliches Konstrukt", das Ausdruck der Interpretationen der Rechtsgelehrten sei. Dieses werde allerdings in den verschiedenen islamischen Ländern völlig unterschiedlich interpretiert und "ich muss immer hinterfragen, ob es einen Gegenwartsbezug hat und für mich in meiner Position lebbar ist". Ethisches Handeln dürfe nicht auf unreflektiertes Befolgen von Normen reduziert werden.

Suche nach dem Richtigen. Homolka berief sich in diesem Zusammenhang auf ein jüdisches Sprichwort, wonach Gott am Berge Sinai "49 Gründe für alles angegeben hat und 49 Gründe gegen alles. Die Aufgabe jedes Einzelnen ist es herauszufinden, was in meiner Zeit das Richtige ist." Das Gewissen dürfe dabei nicht als "Notnagel oder Jocker" dienen. "Der entscheidende Punkt ist vielmehr zu hören, was Gott von einem erwartet." Wenn sich eine Religion zu stark auf die - von den Taten unabhängige - Gnade Gottes verlasse, berge dies die Gefahr von Passivität. Darin sah Homolka auch einen Grund, warum die katholische Kirche im Dritten Reich "nicht mehr auf ihr Gewissen gehört hat".