Herr Präsident, die Hälfte der Anträge, die an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden, sind Asylfälle. Schlimmstenfalls geht es um Leben und Tod. Wie gehen Sie damit um?
GERHART HOLZINGER: Das ist eine große emotionale Belastung, man ist betroffen vom Elend, das zum Teil dahinter steht. Aber das darf unsere Arbeit nicht beeinflussen. Wir prüfen nur, ob die Entscheidung verfassungsmäßig ist oder nicht. Der Zustand ist rechtsstaatlich unbefriedigend. Besser wäre, der Verwaltungsgerichtshof könnte die Fälle wie früher auch noch auf die sonstige Rechtswidrigkeit hin prüfen.

Sehen Sie eine Chance, dass der Gesetzgeber auf Sie hört?
HOLZINGER: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in diese Richtung geht. Wenn man zwischen den Zeilen des Regierungsübereinkommens liest und nach dem Stand der Debatte unter Experten können Asylwerber, sobald das geplante Konzept der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit umgesetzt ist, dann wieder den Verwaltungsgerichtshof anrufen.

Was halten Sie von E-Voting, der Stimmabgabe per Computer, die bei der Hochschülerschaftswahl ausprobiert wird?
HOLZINGER: Ich bin sehr skeptisch, weil ich all den Beteuerungen, dass das Wahlverhalten sicher geheim bleibt, als technischer Laie schlicht und einfach nicht glauben kann. Auf der anderen Seite sieht man doch, dass die Experten alles nachvollziehen können, was jemals gespeichert worden ist. Abgesehen von den verfassungsrechtlichen Bedenken braucht die Demokratie Symbole, und die Wahlhandlung, wie wir sie seit 100 Jahren kennen, ist ein starkes. Der Verfassungsgesetzgeber hat die Möglichkeit zur Briefwahl erweitert - darüber hinaus zu gehen, ist nicht erstrebenswert.

Ihr Vorgänger hat die Kärntner Ortstafeldebatte als "Tragikkomödie mit skurrilen Elementen" bezeichnet. Können Sie darüber lachen?
HOLZINGER: Das ist nicht zum Lachen, das ist ein erstes rechtsstaatliches, demokratiepolitisches Problem. Bund und Land sind aufgerufen, in ihrem Bereich - Volksgruppengesetz beziehungsweise Straßenpolizeiangelegenheiten - dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen, die die Republik im Staatsvertrag eingegangen ist, eingehalten werden. Die Bundesregierung deklariert in ihrem Übereinkommen die Absicht, die Ortstafelerkenntnisse im Konsens umzusetzen. Offenbar will man eine Lösung.

Sie sind seit 14 Jahren am Gerichtshof, waren als Referent für die Ortstafeln zuständig. Sind Sie des Themas nicht schon müde?
HOLZINGER: Sicher nicht! Ein Arzt, zu dem immer wieder Menschen mit denselben Leiden kommen, kann ja auch nicht sagen: "Mir wird das jetzt zu fad."

Ihre Karriere war ausgewogen: Einmal haben die Roten Sie gefördert, dann wieder die Schwarzen. Wo stehen Sie weltanschaulich?
HOLZINGER: Soziale Gerechtigkeit liegt mir am Herzen. Ich weiß, was es heißt, sich vieles erkämpfen zu müssen, komme aus bescheidenen Verhältnissen. Mein Vater war Hilfsarbeiter, später Buchhalter. Dann ist mir natürlich die Rechtsstaatlichkeit sehr wichtig. Ich bin praktizierender Katholik und ein radikaler, begeisterter Republikaner. Vor 100 Jahren hätte ich ohne "von" vor dem Namen in der Höchstgerichtsbarkeit keine Chance gehabt.

Wer hat Ihnen das Studium ermöglicht?
HOLZINGER: Meine Eltern haben auf vieles verzichtet, um mir als erstem in der Familie ein Studium zu ermöglichen. Ich war zuerst in der Hauptschule, die Lehrer haben meine Eltern dann überzeugt, mich aufs Gymnasium zu schicken. Dort, wo ich aufgewachsen bin, in einer Werkssiedlung, gab einem das noch ein Gefühl, als verlange man etwas, das einem nicht zusteht.

Wo standen Ihre Eltern politisch?
HOLZINGER: Ich hatte ein nationalkonservatives Elternhaus, mein Vater war ganz extrem rechts. Die Kirche hat allerdings auch eine starke Rolle gespielt. Schon sehr früh habe ich die Einstellung meines Vater hinterfragt, irgendwann ist es dann zum Crash gekommen. Die familiäre Situation war nicht leicht.

Sie sind nicht nur im Beruf fleißig, Sie laufen Marathon und haben an Triathlons teilgenommen. Leiden Sie unter der Kombination aus Ehrgeiz und Perfektionismus?
HOLZINGER: Mitunter leidet man da schon. Als ich mit 37 Jahren Sektionsleiter im Bundeskanzleramt wurde, arbeitete ich wahnsinnig viel, um zu beweisen, dass die Entscheidung gerechtfertigt war. Heute denke ich mir manchmal, ich hätte mir lieber mehr Zeit für meine damals kleinen Kinder und meine Gesundheit nehmen sollen. Ein Arzt riet mir dann, regelmäßig zu laufen. Es macht mich nervös, dass ich verkühlt bin und den Trainingsplan für den Wien-Marathon nicht einhalten kann.