Vom Sessel hat er wohl niemand gerissen. Auch nicht aus dem Fauteuil vor dem Fernseher, der die gut 51-minütige, teils nuschelnd vorgetragene Regierungserklärung von Neo-Kanzler Werner Faymann gezeigt hat. Es waren lange Minuten im Parlament. Faymann steht vor der Regierungsbank und liest die ersten vier der 24 Seiten brav wörtlich vom Blatt.

"Große Herausforderungen" Das Anfangsthema verleitet noch keine Zuhörer im Hohen Haus gelangweilt zum Telefonieren oder Zeitunglesen. Faymann eröffnet, Österreich stehe vor "großen politischen Herausforderungen, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht". Ein paar Sätze später ist alles schon nicht mehr so schlimm. Denn die Weltwirtschaft werde 2009 um zwei Prozent wachsen, hätten ihm Experten versichert. "Wir dürfen ruhig ein wenig optimistischer sein als uns die Kommentatoren weismachen wollen!". So endet Absatz drei seiner Rede, die er tags davor um 18.23 Uhr, wie die SPÖ später erklärt, an die Parlamentsklubs hat schicken lassen.

Zunächst liest noch gut die Hälfte der 183 Abgeordneten mit, dass Faymann dem "Vorrang für Profitmaximierung, Wetten auf fallende oder steigende Kurse, undurchschaubaren Finanzprodukten" einen Riegel vorschieben will.

Nicht-Mehr-Streiten-Wollen. Dann kommt er zu seinem Leibthema, seinem Nicht-Mehr-Streiten-Wollen: Er beschwört die Koalition mit der ÖVP (deren Alt-Klubobmann Wolfgang Schüssel längst in der Zeitung blättert) und den "gemeinsamen Nenner" der beiden Parteien, bevor er mit neuer Arithmetik aufhorchen lässt. "Wenn zwei Parteien sich in allen Fragen diesen gemeinsamen Nenner zum Ziel machen, dann ist ihre Kraft nicht mit zwei, sondern mit vier zu multiplizieren".

Maßnahmen. Jetzt schauen sich ein paar Zuhörer verduzt an. "Gemeinsam", "Partner" oder "partnerschaftlich" sind Schlüsselworte in Faymanns Regierungserklärung. Dann leiert er die paar konkreten Maßnahmen für die schon beschlossenen Konjunkturpakete und die Steuerreform 2009 herunter. Auch aufs Sparen kommt die Rede. Der Kanzler kündigt eine Kommission aus Finanzminister, zwei Landeshauptleuten, prominenten Wirtschaftsforschern und ihm selbst an, die im ersten Quartal 2009 konkrete Vorschläge für eine Verwaltungsreform und Bürokratieabbau machen werde.

"Verwaltungssteuerung". Faymanns Text dreht sich um Begriffe wie "Verwaltungssteuerung". Der spätestens ab Seite elf selbst schon leicht entnervt wirkende Redner macht daraus "Verwaltungssteuern". Er hantelt sich über die komplexe Themen wie die dringend nötige Gesundheitsreform hinweg, auch die Schule soll "gesund" werden - und beginnt plötzlich, bestimmte Themen völlig auszublenden. Weil sie zu heikel sind?

Keine Rede mehr. Im Papier seiner Rede heißt es jetzt, es sei für viele Bürger schwer nachvollziehbar, "dass ein und derselbe Betroffene zu krank ist, um eine realistische Chance auf dem Arbeitsplatz zu haben, er gleichzeitig aber zu gesund für eine Invaliditätspension ist". Wörtlich ist davon überhaupt nicht mehr die Rede.

Stirnrunzeln. Dutzende Mitleser runzeln die Stirn. Auch komplexe Gedanken über mehr Internationalität der Bildungspolitik fallen jetzt unter den Tisch. Präzis und zwar so, dass auf einmal jeder Beistrich hörbar ist, wird Faymann erst wieder beim Thema EU. Allerdings drischt er zunächst nur Gemeinplätze. Wie, die Regierung bekenne sich "uneingeschränkt zum Europäischen Einigungswerk und zur Mitgliedschaft in der EU". Allerdings auch zu "einem intensiven Dialog mit den Bürgern". Jetzt blickt der neben Faymann sitzende ÖVP-Chef und Vizekanzler Josef Pröll hellwach in die Runde. Faymann spricht sich für rasche Aufnahme Kroatiens in die EU aus. Er will aber auch "darauf achten, dass der Erweiterungsprozess unter voller Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU sorgfältig und umsichtig gestaltet wird.

Es wird laut im Saal. Dann wird es laut im Saal. Grüne, Blaue und Orange - die ganze Opposition keppelt aufgebracht Richtung Kanzler, der jetzt nervös auf den Schuhen zu wippen beginnt. Grund der Aufregung: Faymann wurde schon wieder ertappt, wie er eine heiße Kartoffel fallen gelassen hat. Nämlich einen Satz, den vor allem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vermisst hat, obwohl er im Redetext so zu lesen war: "Im Falle der Türkei setzen wir uns für ein schrittweises Vorgehen zunächst mit dem Ziel einer maßgeschneiderten türkisch-europäischen Gemeinschaft ein". Das hat Faymann verschwiegen. Nach dem Motto: Es gilt nur das gesprochene Wort.