Mit welchen Worten werden Sie Kanzler Alfred Gusenbauer beim heutigen Krisengipfel begrüßen?
WILHELM MOLTERER: Mit der Frage, ob ihm bewusst ist, welch katastrophalen Fehler er und Faymann da begangen haben. Dieser Fehler schadet Österreich in Europa. Das Land hat in der EU den Ruf eines verlässlichen Partners - seit Mittwoch muss man sagen - gehabt. Einen derartigen Bruch einer rot-weiß-roten Konsenslinie hat es noch nie gegeben. Man kann doch eine Grundsatzfrage nicht durch einen Brief an eine Zeitung einfach aufgeben.

Ist die Regierung noch handlungsfähig?
MOLTERER: Die SPÖ ist seit Wochen nur noch mit sich selbst beschäftigt. Die interne Situation ist ungeklärt, die Führungsfrage schwelt. Es herrscht Stillstand. Deshalb haben wir in der ÖVP vereinbart, dass der Koalitionsausschuss einberufen wird, dass um ein Gespräch beim Bundespräsidenten angesucht wird, dass ich jederzeit ermächtigt bin, den Parteivorstand einzuberufen.

Was erhoffen Sie vom heutigen Krisengipfel?
MOLTERER: Wir müssen wissen, ob es noch eine Basis gibt. Bei Europa geht es nicht um die Befindlichkeit der ÖVP, Europa ist ein Kernstück der rot-weiß-roten Strategie. Vor wenigen Tagen hat Gusenbauer in Brüssel noch erklärt, derartige Abstimmungs-Ideen würden die europäische Einigung gefährden. Er kann doch in Wien nicht etwas anderes sagen als in Brüssel.

Wenn Sie von Grundsatztreue reden: Müsste die ÖVP nicht aus Überzeugung Schluss machen? Die Europafrage war ihr "unverhandelbares Herzstück". Das Herz ist nicht irgendein Organ.
MOLTERER: Auch das Hirn ist nicht irgendein Organ. Es gibt im Griechischen den Begriff des Kairos: der richtige Augenblick. Wir dürfen uns jetzt nicht von Emotionen leiten lassen. Es gibt nichts Schlimmeres als im Affekt zu handeln. Die ÖVP ist der Stabilitätsanker. Wir dürfen keine übereilten Handlungen setzen, auch wenn nichts mehr weiter geht,

Wie lange wollen Sie zuwarten und worauf warten Sie?
MOLTERER: Die Frage, wie lange ich im Interesse des Landes noch zuschauen kann, habe ich noch nicht endgültig geklärt. Deshalb habe ich den Koalitionsausschuss einberufen und um einen Termin beim Bundespräsidenten angesucht. Ich will die Einschätzung von Heinz Fischer hören. Die Europalinie der SPÖ ist von ihm wesentlich mitgeprägt worden. Es ist eine schwierige Situation. Das Schwierige ist, einzuschätzen, ob sich die SPÖ konsolidiert. Unter Alfred Gusenbauer und Werner Faymann ist die SPÖ in der Europafrage in der FPÖ-Position aufgegangen. Da läuten bei vielen in der SPÖ die Alarmglocken. Der so besonnene Franz Vranitzky ist im Innersten getroffen.

Es war ein taktisches Manöver im Sog einer europakritischen Grundstimmung.
MOLTERER: Das Manöver geht nach hinten los. Wer europakritisch ist, geht zum Schmied und nicht zum Schmiedl. Die SPÖ hat eineFeuerwand durchbrochen.

Fürchten Sie nicht die Gefahr, dass die ÖVP mit den als richtig erkannten, aber unpopulären Grundsätzen bei Wahlen in moralischer Schönheit stirbt?
MOLTERER: Ich kann der europakritischen Stimmung in Österreich nicht dadurch begegnen, indem ich sie verstärke, sondern, indem ich mit den Leuten rede. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Unsere Stärke ist die Standfestigkeit und Klarheit. Glauben Sie, dass man der SPÖ noch irgendetwas glaubt? Die SPÖ hat schon alles versprochen. Sie hat jetzt eine Dreier- statt eine Zweier-Führung, bestehend aus: Gusenbauer, Faymann, Dichand.

Sind Sie sicher, dass die ÖVP inhaltlich und personell für Neuwahlen gerüstet ist?
MOLTERER: Gehen Sie davon aus, dass keine Partei derzeit schläft. Alle Parteien müssen sich mit allen Szenarien beschäftigen. Die zentrale Frage wird lauten: Wem traut man Verantwortung zu? Wir sind berechenbar und zuverlässig. Wir werden klar Position beziehen. Wer soll das sonst machen? Die SPÖ zerbröselt es, die FPÖ ist weit weg, die Grünen sind müde.

Sind die Verhältnisse in der ÖVP wirklich so geordnet, wie Sie sie darstellen? Ihr ÖAAB-Chef Fritz Neugebauer ist gegen die eigene Gesundheitsministerin auf die Straße gegangen.
MOLTERER: Ich schreibe keine Briefe, ich diskutiere die Sache in der Partei aus und lasse dann auch abstimmen. Maria Fekter war mein Vorschlag, der einstimmig angenommen wurde.

Landeshauptmann Erwin Pröll war nicht sehr erfreut darüber.
MOLTERER: Fekter wird kraftvoll das Sicherheitsruder übernehmen. Es gibt einen Innenminister. Wenn ich die Logik verfolge - es gibt neun Bundesländer und sechs Teilorganisationen - müsste es 54 Innenminister geben.

Warum durfte es Josef Pröll nicht werden? Weil Sie ihn nicht im Zentrum der Macht haben wollen?
MOLTERER: Pröll ist im Zentrum der Macht. Er ist mein Regierungskoordinator. Pröll wird in Zukunft zusätzliche Aufgaben übernehmen.

Welche?
MOLTERER: Vielleicht werde ich Sie genauso überraschen wie mit Maria Fekter.