Die neue ÖVP, ganz locker: "Ich will, dass das Wort Vize spätestens 2010 aus meinem Amtstitel gestrichen ist", sagte Willhelm Molterer am Samstag vor der versammelten Parteijugend. Der Vizekanzler und Parteichef erklärte damit erstmals dezidiert, dass er die Volkspartei als Spitzenkandidat in die nächste Nationalratswahl führen will. Und sah dabei erstmals gar nicht aus wie ein Reservekanzler: Molterer hatte sein Sakko nicht an, sondern um die Schultern gelegt, in Laufe der Rede rutschte es immer mehr nach hinten.

Adjustierung. Eine Erklärung für die Adjustierung: Alfred Gusenbauer ließ sich gleich nach der Wahl 2006 vom Boulevard zum Volkskanzler ausrufen, derzeit posiert er mit Vorliebe für Fotos, auf denen er schwitzt oder neben Schwarzeneggers steht. "Die Presse" verglich Molterer am Wochenende hingegen mit dessen Vorgänger Alois Mock: "Kümmert sich um alles und wirkt dabei ganz schön unlocker".

ÖVP-Perspektivengruppe. Eine Erklärung für den Zeitpunkt, zwei Tage bevor Josef Pröll den Abschlussbericht der ÖVP-Perspektivengruppe vorlegt: "Er hatte Angst, dass der Sepp morgen eine zu gute Rede hält", sagte einer aus ÖVP-Führungsmannschaft am Sonntag, "und, dass dann die Kandidaten-Debatte losgeht." Der Überraschungseffekt ist Molterer gelungen: In der Partei wusste kaum jemand Bescheid. Nicht einmal die "Zeit im Bild" hatte Molterer, dem immer ein guter Draht zum ORF nachgesagt wurde, vorgewarnt, auf dass aus Alpbach ein hübsches Bild nach Wien übermittelt werde. Molterer, sein Leben lang der perfekte zweite Mann, hat die K-Frage, die Frage nach dem Kanzlerkandidaten, damit vorerst für sich entschieden. Und er wird heute, Montag, auch die neuen Perspektiven Prölls zu seinen eigenen erklären.

Schock vor einem Jahr. Vor einem Jahr hatten die Bürgerlichen bei der Nationalratswahl einen Schock erlitten: Die Sozialdemokraten hatten ihnen nach nur einer Periode den Rang als stärkste Fraktion wieder abgelaufen. "Dieser Schock ist verdaut", sagt Josef Pröll, "die Aufarbeitung aber noch nicht ganz abgeschlossen". Mittlerweile hat die ÖVP ihren Frieden mit dem zweiten Platz gemacht - auf ihre Art. Spricht man mit Funktionären, hört man regelmäßig: "Es gibt in der Regierung zwei gleich starke Gruppen - von denen eine durch Zufall ein paar hundert Stimmen vorne liegt".

Langes Bitten. Vergangenen Winter ließ sich die ÖVP lange bitte, bis sie ernsthaft mit der SPÖ über eine Koalition verhandelte, dann holte sie das Optimum für sich raus - und ging nahtlos zum Tagesgeschäft über. In den Umfragen wurde ihr das gedankt: Die ÖVP lag seitdem immer vor der SPÖ. Erst in den letzten Wochen rückten die beiden Parteien so weit zusammen, dass Meinungsumfragen - aufgrund der statistischen Schwankungsbreite - keine Auskunft mehr darüber geben, wer die Nase vorne hat. "Die SPÖ hat lange gebraucht, sich von Opposition auf Regierung umzustellen", analysiert Pröll, "aber in den letzten Wochen merkt man, dass sie gelernt hat - zumindest, was den Verkauf ihrer Politik betrifft".

Kummer mit Kdolsky. Die einzige Ministerin in der schwarzen Mannschaft, die Probleme macht, ist Familien- und Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Sie kam nicht mit Geldersparnis im Spitalswesen und Geldsegen für Eltern in die Schlagzeilen, sondern mit ihrem Privatleben. Kdolsky machte viel Wind um ihre Person, brachte aber keinen frischen. Dafür sollen nun die Ergebnisse der Perspektivengruppe sorgen: liberale Ansätze wie eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle werden mit traditionellen ÖVP-Werten - Familienbesteuerung - gemischt. Dem ehemaligen ÖVP-Spitzenpolitiker Heinrich Neisser ist das zu wenig: "Europa kommt nicht mehr vor", stellt er bedauernd fest. Dass man über die Neutralität nicht einmal habe diskutieren dürfen, sei "furchtbar". Und: "Die ÖVP hat 2000 einen Rechtsruck erlebt, der nie korrigiert wurde - wenn ich etwa an die Attitüden des Innenministers denke". Neisser findet aber auch Gutes an der ÖVP: "Molterer ist die Überheblichkeit seines Vorgängers Gott sei Dank fremd".