Am Vorabend des Urnengangs, der von der Opposition als Schicksalswahl verkauft wird, herrscht in der türkischen Bevölkerung Ruhe, ja fast Gelassenheit. Und das, obwohl die letzte Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Konda der AKP von Premier Recep Tayyip Erdogan mit fast 48 Prozent der Stimmen einen klaren Sieg verspricht.

Zerstritten. "Eine zutiefst in sich zerstrittene Nation" hieß es vor nur sieben Wochen in der Presse Europas, als in der Türkei die Reihe von Großdemonstrationen nicht abreißen wollte, die Erdogan und seine Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) als islamische Fundamentalisten präsentierten. Die Zeitung "Cumhuriyet", das Sprachrohr der Propaganda, erscheint seit Wochen mit einem schwarzen Balken auf der ersten Seite. Durch einen Schlitz schauen den Leser zwei dunkle Frauenaugen an. "Siehst du, welche Gefahr in der Wahlurne steckt?", steht am Rande des Balkens. Frauen im Tschador ist die nicht allzu schwere Antwort.

Persönlichkeitsspaltung. Dass trotz der Panikmache im Lande alles friedlich bleibt, liegt daran, dass die Alternativen wenig überzeugend sind. Ein Beispiel liefert Mahmut Kaya, Chef der Forschungsabteilung der großen türkischen Bank Garanti. Kayas Recherchen haben erbracht, dass in der Creme de la Creme der Finanzwelt fast keiner Erdogans AKP seine Stimme gibt und fast alle die Volkspartei der Republik (CHP) von Deniz Baykal wählen, der am stärksten mit der "islamischen Gefahr" hausieren geht.

Limitierung. Eine Regierung Baykal will freilich keiner dieser Manager, und alle hoffen, dass Erdogan weiter regiert. Diese Persönlichkeitsspaltung ist schnell erklärt. In Sachen Konsum, Lebensstil und Bildung haben die Manager mit den meisten AKP-Wählern wenig gemein und bei der Stimmabgabe folgen sie ihrem Herzen. Aber weil Baykal ausländische Investitionen kontrollieren und limitieren will und die Wirtschaftstheorie seiner Partei auch sonst zum großen Teil von gestern ist, hofft der Verstand, dass die AKP ihren Kurs weiterfahren kann. Denn wirtschaftlich war dieser Kurs erfolgreich. Als die Regierung 2002 ihr Amt antrat, lag das Haushaltsdefizit bei 14,6

Schulden. Prozent des BIP, die Inflation bei fast dreißig und 18,9 Prozent des BIP gingen für die Zinszahlungen der öffentlichen Schulden drauf. 2006 dagegen betrug das Haushaltsloch nur 0,6 Prozent des BIP, die Inflation war auf 9,6 Prozent zurückgefahren und für Zins und Zinseszinsen mussten nur noch 8,5 Prozent des BIP ausgegeben werden. Das ist noch immer viel, doch weil die Wirtschaft in all den Jahren durchschnittlich um sieben Prozent wuchs und ausländische Investitionen ständig steigen, optieren in- und ausländische Fachleute für eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Öffnungspolitik. Am Arbeitsmarkt schlägt sich dieser Erfolg bisher leider kaum nieder. Neun Prozent ist die offizielle Rate, doch die verdeckte Arbeitslosigkeit liegt weit höher. Pro Jahr strömen 800.000 junge Leute auf den Arbeitsmarkt und die Landwirtschaft setzt ständig Arbeitskräfte frei. Wachstum um jeden Preis ist der einzige Ausweg, doch nur die AKP hat einen klaren Wirtschaftskurs.