Derzeit wird wieder laut nach Quotenregelungen für Frauen gerufen: an den Unis, im ORF, im Parlament. Ist diese Forderung wirklich noch zeitgemäß?

GABRIELE MICHALITSCH: Frauenquoten sind schlicht und einfach notwendig. Angesichts der bestehenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, angesichts einer Gesellschaft, in der Frauen nicht annähernd die gleichen Chancen haben wie Männer. Es geht darum, diesem Unrecht etwas entgegenzusetzen. Quoten sind ein Instrument. Erst wenn Frauen in gleicher Weise in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung, in allen Bereichen der Gesellschaft in gleicher Weise präsent sind wie Männer, sind Quoten nicht mehr nötig.

Das Ergebnis nach 30 Jahren Gleichbehandlungsgesetz sieht nicht gerade rosig aus: noch immer verdienen Frauen in Österreich im Schnitt um 25,5 Prozent weniger als Männer. Warum?

MICHALITSCH: Zu den Zahlen: Die Einkommensdifferenz zwischen Männern und Frauen liegt bei den Bruttostundenlöhnen bei fast 20 Prozent. In der Gesamtheit der Einkommen erreichen Frauen nur rund 60 Prozent der Männereinkommen.

Ist der Unterschied heute weniger groß als vor 30 Jahren?

MICHALITSCH: Er ist mehr oder weniger konstant geblieben und hat sich seit Mitte der 1990er im Bereich der unteren Einkommen noch vergrößert.

Und worin liegen die Gründe?

MICHALITSCH: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen. Erstens: direkte Diskriminierung - wenn Frauen etwa für gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger bezahlt bekommen. Zweitens: in geschlechtsspezifisch besetzten Branchen, in typischen Frauenbranchen wie etwa der Textilbranche, sind die Einkommen am geringsten. In typischen Männerbranchen wie der Metall- oder Holzverarbeitung am höchsten. Drittens: Frauen bekleiden weit seltener Führungspositionen. Viertens: Atypische und prekäre Beschäftigung. Der Frauenanteil beträgt bei Teilzeitbeschäftigungen fast 90 Prozent, bei geringfügig Beschäftigten etwa 70 Prozent.

Rufen Frauen zu wenig laut nach Gerechtigkeit?

MICHALITSCH: Die Rufe werden kaum gehört. Gleichstellungspolitik wird als zweitrangig angesehen. Es geht darum, politische Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer an der Gesellschaft teilhaben können.

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek fordert die Transparenz der Gehälter. MICHALITSCH: Es ist ein Versuch die Einkommensschere zu verringern, der relativ einfach umzusetzen wäre.

Zahlen Frauen in der Krise doppelt drauf oder sind die Männer die Verlierer, wie Arbeitslosenstatistiken ausweisen?

MICHALITSCH: Der öffentliche Diskurs zur Wirtschaftskrise fokussiert auf steigende Männerarbeitslosigkeit. Damit wird unsichtbar gemacht, dass auch Frauenarbeitslosigkeit stark steigt. Gar nicht thematisiert wird auch, dass sich im Zuge der Krise atypische Beschäftigung von Frauen vehement verstärkt. Dazu kommt, dass die Krise auch informell Beschäftigte trifft, z. B. Migrantinnen, die in privaten Haushalten putzen. Dieser Sektor wird sta

tistisch überhaupt nicht erfasst.

Ist die Krise also weiblich?

MICHALITSCH: Sie beschert uns eine Re-Traditionalisierung von Geschlechterverhältnissen. Die Folgen für Frauen werden unsichtbar gemacht und das traditionelle Ernährermodell gewinnt wieder an Bedeutung.

Gibt es seit der Krise ein erstes Resümee zu Neueinstellungen?

MICHALITSCH: Ja. Betrug die Neueinstellungsquote im zweiten Quartal 2008 bei Frauen und Männern 5,2 Prozent, beträgt sie heuer in eben diesem bei Männern 4,9 und bei Frauen nur noch 4,3 Prozent. Ein Hinweis, dass in der Krise Arbeitsplätze verstärkt an Männer vergeben werden.

Wo müsste man ansetzen, um die Lohnschere zu verkleinern?

MICHALITSCH: Überall gleichzeitig. Es braucht eine umfassende Gleichstellungspolitik. Es geht unter anderem darum, dass bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern gleich verteilt wird.

Sie gelten als Kritikerin des Konjunkturpakets des Bundes. Was stört Sie daran?

MICHALITSCH: Die Konjunkturprogramme sind nicht gerade zukunftsorientiert. Sie vernachlässigen wichtige Investionen in den Bereichen Bildung, Integration, Pflege oder Betreuung. Auch generelle Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung von oben nach unten könnten stabilisierend wirken, werden aber ausgeblendet.