Eine Woche zuvor hatten die Iren bei einem Referendum zugestimmt, wenn auch im zweiten Anlauf. Doch die letzte Unterschrift fehlt. Der tschechische Präsident Vaclav Klaus mag noch nicht zum Füllfederhalter greifen. Damit trübte er die Freude der eigens angereisten EU-Prominenz über das ebenfalls schon lange erwartete Abnicken des Vertrages durch Kaczynski.

Selten haben so viele Politiker in Europa so oft und so eindringlich auf das tschechische Staatsoberhaupt geblickt. Nur wenn Klaus unterschreibt, kann der "Lissabon-Vertrag" in Kraft treten. Aber Klaus (68) fürchtet den "europäischen Superstaat" und hat bisher alles getan, um wirklich zum Allerletzten bei der Ratifizierung zu werden. Derzeit argumentiert er, er könne natürlich nicht unterzeichnen, bevor nicht das tschechische Verfassungsgericht ein zweites Mal über die Rechtmäßigkeit des Vertrages entscheide. Die 17 Senatoren, die die neue Klage einreichten, sind enge politische Weggefährten des Unbeugsamen vom Prager Hradschin.

"Fußnote" im Vertrag?

Knapp drei Wochen vor dem kommenden EU-Gipfel hat Klaus dem schwedischen Ministerpräsidenten und derzeitigen EU-Ratspräsidenten Fredrik Reinfeldt anvertraut, er wolle noch eine "Fußnote" im neuen Vertrag einbringen. Damit, so ist die gängige Deutung, wolle er ganz klar machen, dass Deutsche nicht unter Berufung auf die im Vertrag erwähnte "Charta der Grundrechte" die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Benes-Dekrete zur Vertreibung aus dem Sudetenland aushebeln könnten. Reinfeldts erste Reaktion deutete auf blankes Entsetzen hin: "Das ist die falsche Botschaft zum falschen Zeitpunkt. Es hat viele Gelegenheiten gegeben, unterschiedliche Meinungen vorzubringen."

Freilich kam der Versuch von Klaus, im Nachhinein noch einmal zu verhandeln, nicht völlig überraschend. Schließlich hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten nach dem gescheiterten Referendum in Irland gezeigt, dass sie durchaus zu späten Zugeständnissen bereit sein können. Dabei hatten sie nicht nur Sorgen vor EU-Übergriffen auf Irlands Neutralität oder das Abtreibungsverbot mit starken Worten ausgeräumt, ohne am Vertragstext etwas zu ändern. Sie hatten sogar von der rechtlich bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die eigentlich geplante Verkleinerung der EU-Kommission wieder zu kippen.

Dass Klaus monatelang schwieg, telefonisch auch für Reinfeldt tagelang nicht erreichbar war und erst kurz vor dem wichtigen EU-Gipfel vom 29./30. Oktober mit seiner Nach-Forderung kam, hat in der EU für viel Ärger gesorgt. Denn die Europäische Union muss bis zu diesem Gipfel wissen, ob denn zumindest begründete Aussicht besteht, dass Klaus unterzeichnet. Gibt es diese Aussicht nicht - weil eine Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht absehbar ist oder weil Klaus weder auf gutes Zureden noch auf Druck reagiert - so stünde die Union vor einer extrem schwierigen Aufgabe.

Sie müsste dann - weil der Vertrag von Nizza weiter gilt - die ebenso lukrativen wie einflussreichen Posten der EU-Kommissare verringern. Ab November hätte nicht mehr jedes EU-Land eine Kommissar. Doch das ist kaum machbar, weil die Frage, wer als erster verzichten und wie das Ganze dann dauerhaft geregelt werden soll, von den EU-Regierungen schon in den vergangenen Jahren nicht einmal diskutiert worden ist - so strittig ist sie. Nach jahrelangem Streit um den neuen EU-Vertrag macht sich auf der politischen Zielgeraden Erschöpfung breit. Eigentlich gebe es vom Klimaschutz bis zur Finanzkrise wichtigere Themen, räumen Diplomaten ein. Und niemand widerspricht dem britischen Regierungschef Gordon Brown: "Ich hoffe, dass wir nach dem Vertrag von Lissabon viele Jahre nicht mehr über eine Vertragsreform reden müssen."