Herr Bundeskanzler, seit Sie als SPÖ-Chef im Amt sind, fahren die Sozialdemokraten bei Landtagswahlen eine Niederlage nach der anderen ein. Was läuft schief in der SPÖ?

WERNER FAYMANN: Wir dürfen uns nicht in den Sack lügen. Die Bundes-SPÖ hat acht Prozent weniger Vertrauen als vor fünf Jahren. Das ist aus meiner Sicht in der letzten Regierungsperiode entstanden. Womit haben wir das Vertrauen verloren? Weil wir die Wahlversprechen nicht gehalten haben. Daher bin ich ja so penibel: Wenn ich etwas verspreche, können sich die Wähler darauf verlassen, dass ich es halte. Die Wähler wollen keine Ankündigungen, sie wollen Ergebnisse und Taten sehen. Wenn das funktioniert, können wir uns die ganzen Werbeagenturen vor der nächsten Wahl sparen, weil die können gar nicht so gute Plakate machen, wie man mit Vertrauen Wählerstimmen zurück gewinnen kann.

Viele SPÖ-Wähler klagen darüber, dass die Partei kein Profil hat.

FAYMANN: Was versteht man unter Profil? Die Menschen wissen sehr genau, wofür die SPÖ steht: dass wir für eine soziale, arbeitnehmerfreundliche Politik stehen...

Es gibt die Kluft mit der politischen Praxis.

FAYMANN: Ja, genau. In ganz Europa ist es so, dass die Sozialdemokratie in eine heftige Debatte geraten ist und viel Misstrauen herrscht. Viele Menschen sagen: Ihr steht für eine soziale Politik, aber wieso könnt ihr nicht die Wirtschaftskrise verhindern?

Was antworten Sie?

FAYMANN: Ich sage dann, wir haben natürlich Spielräume, die wir in Österreich nutzen können, und auf europäischer Ebene setzen wir auf die Einführung einer Transaktionssteuer. Ich sehe diese Profildiskussion als Nagelprobe. Diese Debatte ist ungleich wichtiger, als dass wir uns jetzt ein neues Parteiprogramm zulegen.

Die sozialdemokratischen Visionen zerschellen an der rauen Wirklichkeit?

FAYMANN: Wir müssen den Menschen reinen Wein einschenken. Wir müssen ihnen etwa sagen, 2010 wird ein hartes Jahr am Arbeitsmarkt, aber wir werden ihnen auch sagen, dass wir jetzt nicht ein Sparprogramm schnüren, um damit die Kaufkraft abzuwürgen.

In einem Jahr schaut es dann anders aus. Da wird man solche Sparprogramm wohl schnüren müssen.

FAYMANN: Es kann doch kein Mensch immer nur Defizite machen und glauben, dass er sich damit den Spielraum erhält. Wir müssen das Budget konsolidieren, das steht außer Frage. Die Frage ist, wann, zu welchem Zeitpunkt, mit welchen Mitteln. Die uns jetzt zurufen, wir sollten bei den Pensionisten eine Nulllrunde einlegen und den kleinen Pensionisten, die ohnehin zu wenig Geld zur Verfügung haben, auch noch die Kaufkraft abzudrehen, das halte ich für blanken Zynismus. Da sind wir der Fels in der Brandung.

Wenn wir schon ein solches Bild verwenden. Sie haben gesagt, Sie wollen Kurs halten, der steirische SPÖ-Spitzenpolitiker Kurt Flecker hat gemeint kürzlich, Ihnen müsse der Führerschein entzogen werden, weil Sie auf Crashkurs liegen.

FAYMANN: Natürlich ist die SPÖ keine militärische Organisation, wo einer das Sagen hat und alle nur aufsalutieren. Ich bemühe mich um ein geschlossenes Erscheinungsbild. Dieses Erscheinungsbild wird manches Mal gestört und zerstört, und da gehört natürlich der Herr Flecker dazu. Der ist ja schon ein bekannter Zerstörer. Inhaltliche Debatten wie die von Franz Voves erhobene Forderung nach Erhöhung der die Arbeitslosengelder, sind sehr wichtig. Wenn jemand wie der Herr Flecker immer glaubt, er kann seinen eigenen Frust abreagieren, dann muss man schon auch sagen: Das passt nicht in ein Erscheinungsbild einer modernen sozialdemokratischen Partei.

Aber, Herr Bundeskanzler, ohne Ihnen nahe treten zu wollen, ist es nicht so, dass Flecker äußert , was sich gar nicht so wenige innerhalb der SPÖ denken?

FAYMANN: Die Verantwortlichen der Steiermark haben mir gesagt, es ist eine ganz klare Minderheitsmeinung. Wenn Sie mich fragen: Gibt es noch einen zweiten oderdritten Flecker in einer Partei, die Tausende Mitglieder und Funktionäre aufweist, muss ich sagen ja. Wir gewinnen mit einem Franz Voves, einem Michael Häupl, einer Claudia Schmied, einem Rudi Hundtstorfer, also mit Leuten, die positiv agieren - aber nicht mit Leute wie einen Herrn Flecker, der seinen Frust abreagiert. Wir sind keine Selbsthilfegruppe.

Also, Sie bleiben SPÖ-Chef bis zur nächsten Wahl?

FAYMANN: Ich gehe davon aus, dass ich die SPÖ in die nächste Nationalratswahl führe. Ich lege meine Strategie langfristig auch so an. In der Ruhe liegt die Kraft. Ich bin gegen jede Art von Panikreaktion. Man kann in einem Thema nachschärfen, und es wird schon noch der Moment kommen, wo wir für eine sozialere Maßnahme, für eine wärmere, engagiertere, arbeitnehmer

freundlichere Maßnahme als der Koalitionspartner eintreten.

Profil schärfen, was wollen Sie in der Ausländerfrage konkret nachschärfen?

FAYMANN: Wir sind für strenge Regeln und für die Einhaltung dieser strengen Regeln. Gleichzeitig sind wir dafür, dass Menschen, die in unserem Land leben, hier arbeiten und Steuern zahlen, auch voll integriert werden. Wir wollen nicht die vielen ausländischen Mitarbeiter bekämpfen, die unsere älteren Menschen im Spital oder im Altersheim pflegen. Denen soll man sogar Danke sagen. Wir wollen die Kriminalität bekämpfen. Diese Deutlichkeit lässt derzeit ein bisschen zu wünschen übrig. Wenn ein Missbrauch vorliegt, muss man den Missbrauch abstellen. Da kann man nicht als Bedenkenträger herumlaufen.

Also schneller abschieben?

FAYMANN: Wir können doch nicht die Asylverfahren verkürzen mit dem Effekt, dass die Betroffenen, wenn sie in letzter Instanz abgelehnt worden sind, noch länger da bleiben. Hier müssen wir klar Stellung beziehen. Angst ist ein schlechter Ratgeber, daher braucht man sich vor Themen gar nicht fürchten, die sehr brennend sind. Die FPÖ, die die Leute immer gegeneinander aufhetzt und vorschlägt, dass der Gratiskindergarten nur für Inländer ist, agiert komplett verkehrt.

Nochmals zur Lage der SPÖ. SPÖ-Urgestein Norbert Leser schlägt vor, die SPÖ soll sich in der Opposition regenerieren. Was sagen Sie dazu?

FAYMANN: Eine Partei, die sagt, wir sind immer nur in der Opposition gut, wir können nur dann eine Landtagswahl gewinnen, wenn wir im Bund in der Opposition sind, so eine Partei hat keine Zukunft. Es ist das Gebot der Stunde, zu beweisen, dass wir Sozialdemokraten in der Regierung genauso die Menschen begeistern kann wie in der Opposition.

Sie wollen also Kurs halten, auch personell. Einen Personalwechsel schließen Sie definitiv aus? Da legen Sie die Hand ins Feuer?

FAYMANN: In den nächsten vier Jahren wird es sicher auch Personalwechsel geben, jetzt aktuell aber nicht, nicht als Reaktion auf die Landtagswahlen. Das halte ich für völlig verfehlt.

Aktuell heißt in den nächsten zwei, drei Monaten?

FAYMANN: Ich will eins vermeiden. Wenn ich eines Tages einen Wechsel vorschlage, dass dann jeder sagt: Sie haben ja "nein" gesagt. Ich bin für nachvollziehbare Positionen, und darum sage ich, aktuell nicht. Wenn sich einmal irgendwo etwas ergibt, wo ich der Meinung bin, hier kann ich die SPÖ oder die Regierung besser aufstellen, können Sie damit rechnen, dass ich genauso offen antworte wie jetzt.

Mein Eindruck ist, Sie setzen auf das Jahr 2010 und hoffen darauf, dass in Wien, der Steiermark und im Burgenland der Landeshauptmann nach den Wahlen in sozialdemokratischer Hand bleibt. Und Debatten über Personen und mangelndes Profil dann vom Tisch sind.

FAYMANN: Die Chance, dass die SPÖ vorn bleibt, ist auf jeden Fall vorhanden. Sie haben noch die Bundespräsidentenwahlen im Frühjahr unterschlagen. Sollte Heinz Fischer wieder antreten, unterstützt die SPÖ ihn voll. Wir haben vier Wahlen mit guten Voraussetzungen. Niemand soll aber glauben, eine Wahl ist schon geschlagen, weil heute die Umfragen gut ausschauen. Wir müssen dafür noch viel tun und auch die Diskussion mit den Bürgern intensivieren.

Vier Wahlen, vier Siege, das ist noch keine ausgemachte Sache.

FAYMANN: Das ist noch keine ausgemachte Sache, aber die Chancen sind aus meiner Sicht intakt.

INTERVIEW: MICHAEL JUNGWIRTH