Herr Bundespräsident, die Spitzenpolitik verabschiedet sich jetzt in die Ferien. Hat sie sich diese denn verdient?
HEINZ FISCHER: Ein bisschen Urlaub sollten wir allen aus vollem Herzen vergönnen, weil dann die Leistungsfähigkeit im Herbst wieder größer ist. Es wird schwierige Aufgaben geben.

Steht uns ein stürmischer Herbst bevor?FISCHER: Es wird ein schwieriger und arbeitsamer Herbst werden, der viel Erfahrung und viel Kraft erfordern wird. Konjunkturell wird zum Jahresende das Licht am Ende des Tunnels hoffentlich deutlicher sichtbar. Das Ende des Abschwungs ist nicht gleichzusetzen mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Wir müssen uns bis weit in das Jahr 2010 hinein auf ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit gefasst machen.

Sonst sind Sie zufrieden mit der bisherigen Darbietung?
FISCHER: Es gibt auf der ganzen Welt keine Demokratie, wo man uneingeschränkt einen römischen Einser ins Zeugnis schreiben kann. Wenn ich aber die wichtigsten Kriterien nehme, politisch stabile Demokratie, eine wirtschaftlich handlungsfähige und nach vernünftigen Prinzipien arbeitende Bundesregierung, eine gute konsensuale Außenpolitik und eine spürbare soziale Handschrift, dann kann man das positiv benoten.

Keines der großen Reformziele ist ordentlich auf den Weg gebracht worden.
FISCHER: Der Hauptauftrag an die Bundesregierung lautet, mit aller Kraft den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu führen. Das geschieht. Ich wünsche mir, dass Bundeskanzler und Vizekanzler die vernünftige Balance zwischen demokratischer Konkurrenz und Fähigkeit zum Kompromiss, zwischen Kuscheln und Streiten, wie das die Journalisten gern auf den Punkt bringen, beibehalten. Wenn ich Faymann und Pröll im kleinsten Kreis beobachte, finde ich die Art, wie sie miteinander umgehen, durchaus respektabel.

Haben Sie ein besseres Gefühl als bei der Vorgänger-Regierung?
FISCHER: Bei Faymann und Pröll läuft es besser. Vorher hat es vom Start weg Probleme gegeben, die Regierungsbildung war schwieriger. Um die Koalitionsverhandlungen abzuschließen, ist Gusenbauer der ÖVP weit entgegengekommen. Das ist in so undifferenzierter Art als großer Sieg gefeiert worden, dass man aus dieser Schieflage kaum mehr herausgefunden hat.

Besitzen die beiden Akteure den Mut und den Gestaltungswillen, um Großvorhaben wie den Abbau des Schuldenbergs anzugehen?
FISCHER: Ich gebe der Regierung einen Vertrauensvorschuss. Natürlich wird das eine große und schwierige Aufgabe sein. Da wird es große Widerstände geben.

Auch unpopuläre Maßnahmen?
FISCHER: Es wird auch unpopuläre Maßnahmen geben müssen, da wird man Opfer bringen müssen, aber nennen Sie mir eine politische Konstellation, wo das leichter zu realisieren wäre als in einer Großen Koalition. Eines wird allerdings auch notwendig sein. Beim Abbau des Schuldenbergs muss man auf soziale Ausgewogenheit achten. Das ist mein ständiges Credo, dass hier Worte und Taten übereinstimmen müssen. Die, die mehr haben, sollen auch mehr schultern, und da darf es auch keine Tabus geben.

Das heißt, Schenkungs- und Erbschaftssteuer sind auch kein Tabu?
FISCHER: Es wäre schlecht, sich von vornherein ideologisch einzugraben und zu sagen: Alles steht zur Disposition, sofern es gerecht und vernünftig ist. Der Grundsatz der Gerechtigkeit muss tabu sein. Darüber hinaus brauchen wir keine Tabus.

Sie sind eher auf der Voves- als auf der Faymann-Linie?
FISCHER: Es geht nicht um eine Voves-, Faymann- oder Pröll-Linie. Ich will auch nicht mit einer Fischer-Linie Recht bekommen, es geht darum, dass man die Dinge richtig anpackt.

Orten Sie eine soziale Schieflage?
FISCHER: Das sagt sogar der Papst. Da brauchen Sie mich nicht als Kronzeugen. Es gibt gewisse europäische Erfahrungswerte, wie eine vernünftige Einkommens- und Vermögenspyramide ausschauen kann und diese Erfahrungswerte sollte man in die Diskussion mit einbeziehen.

Jetzt gibt es namhafte Personen, die diese Wertschätzung für die Regierung nicht teilen, etwa der scheidende Chef des Burgtheaters, er hat neulich gesagt, dieses Land ist in schwache Hände gelegt.
FISCHER: Mir ist Kritik von Künstlern immer wichtig, weil sie ein Korrektiv ist. Was ein Burgtheater-Direktor über die Politik sagt, ist das Salz in der Diskussion. Salz gehört dazu, ist aber für sich noch keine gute Speise.

Der Politologe Wolfgang Mantl hat von einer Krise der Parteien gesprochen, dass sie hermetische Gebilde sind, wo die Kapillarsysteme nicht mehr offen sind.
FISCHER: Die Parteien waren früher viel geschlossenere Weltanschauungsgemeinschaften. Man war in der gleichen Partei wie die Eltern, man war in einem parteinahen Sportklub, in einem parteinahen Gesangsverein, in der gleichen Gewerkschaftsfraktion, man hat den Freundeskreis aus der gleichen Partei gehabt, man hat die Parteizeitung gelesen. Das war eine ziemlich geschlossene Gesellschaft. Heute bricht das alles auf, was im Prinzip gut ist, aber die Parteien schwächt.

Den Parteien gelingt es nicht, Funktionäre nach oben zu bringen, die Charisma haben?
FISCHER: Ich kann mir vorstellen, dass man nach 20 Jahren das Charisma von Politikern würdigen wird, denen man heute jedes Charisma abspricht.

Welche Gefühle löst in Ihnen die Vorstellung aus, dass Sie in einer möglichen zweiten Amtsperiode in die Lage kommen könnten, eine Mitte-rechts-Regierung angeloben zu müssen?
FISCHER: Die Regierungsbildung ist eine heikle Phase, wo der Bundespräsident unter besonders strenger Beobachtung steht. Ob ein Bundespräsident mit allen Situationen zu Rande kommt, ist nicht eine Frage der Gefühle, sondern die Aufgabe, aus einer Wählerentscheidung das Beste herauszuholen. Es hat in der Geschichte der Republik Situationen gegeben, wo man nicht zwischen einer guten und einer schlechten Lösung wählen konnte, sondern nur zwischen zwei schlechten und schauen muss, was die weniger schlechte und damit die bessere ist.

Haben Sie auch Respekt vor dem Schicksal des Vorgängers, der 2000 gegen seinen Willen Schwarzblau angelobt hat?
FISCHER: Ich habe miterlebt, wie Bundespräsident Klestil mit sich selbst, seinem Schicksal, den Optionen gekämpft hat.

Eine Vorfestlegung kann es nicht geben.
FISCHER: Das wäre unprofessionell, liefert zwar eine schöne Schlagzeile, schränkt aber auch den Spielraum für den Tag X ein.

Worauf freuen Sie sich am meisten im Sommer?
FISCHER: Auf Wanderungen mit meiner Frau, auf selbstgefundene Steinpilze und auf das Fußballmatch Rapid gegen Liverpool.