Vor einigen Tagen wurde eine neue Studie präsentiert, der zufolge sich jeder fünfte Österreicher einen starken Führer wünscht. Ist das alarmierend oder nicht tragisch?
WOLFGANG MANTL: Weder noch, es verdient Aufmerksamkeit. Klar ist, dass es in der Demokratie auch politische Eliten braucht. Sie müssen sich selbstverständlich der demokratischen Kontrolle unterwerfen, sowohl durch die Wähler als auch durch die Mitbewerber. Nie aber darf ein Teil dieser Elite ein starker Mann sein, der an die Stelle des Parlaments und der Regierung tritt, das ginge Richtung Diktatur. Auch ergebnisorientiert halte ich einen starken Mann für unsinnig, denn einer allein kann nie so gut sein, dass er alles machen kann.

In Österreich entsteht manchmal der Eindruck, dass wir zwar eine gewählte Führung haben, aber ob es sich dabei um die Elite des Landes handelt, ist ungewiss.
MANTL: Das ist richtig, das sehen wir an den häufigen Wechseln. Effiziente Eliten brauchen auch Kontinuität und Verlässlichkeit. Meine wahre Angst ist die, wie ich es nenne, "Verzwergung Österreichs". Gemeint ist, dass die Regierenden herumhüpfen wie die Hobbits (im Film Krieg der Sterne) und nicht die notwendigen Leistungen erbringen. Als positives Gegenbeispiel drängen sich die Regierungszeiten von Figl, Raab, aber auch Kreisky oder Schüssel auf. Insgesamt bin ich nicht zufrieden, ich fürchte eine Austrocknung der Politik. Es fehlt die Zufuhr von frischem Blut für die Politik. Die jungen Eliten verwirklichen sich außerhalb der Politik.

Die politische Führung kommt durch Selektion der politischen Parteien zustande. Was läuft hier ganz offensichtlich falsch?
MANTL: Wichtig wäre, dass die Kapillarsysteme der Parteien möglichst offen, möglichst durchlässig sind. Die Versuche der vergangenen Jahre mit Quereinsteigern sind in der Regel kläglich gescheitert. Das Problem der Parteien ist, dass sich in ihren Strukturen sehr oft Mittelmäßigkeit festbeißt und die Türen schließt. Durchlässigkeit und Bildung, also Prinzipien der Aufklärung, sind auch für mich als Konservativen entscheidende Faktoren.

Damit stellt sich die Frage nach reinen Berufspolitikern?
MANTL: Der entscheidende Punkt ist nicht das reine Berufspolitikertum sondern die notwendige Voraussetzung: Die Erfahrung vor der Politik. Es wird immer auch die Politik als Beruf geben. Aber der Politiker, beginnend als Schülerfunktionär bis zum Staatssekretär, kann nicht das Ziel sein. Diese Kriterien zu berücksichtigen wäre Aufgabe jeder Parteispitze. Anstatt immer nur kurz vor Wahlen jemanden auf die Liste setzen.

Zurück zur Kontrolle: Auch hier sind Eliten notwendig, ein Rechnungshof besetzt mit Flaschen wird nicht sehr viel kontrollieren können. Gibt es Überlegungen, die Kontrolle außerhalb der Opposition oder bestehender Institutionen weiter zu verbessern?
MANTL: Darüber muss man immer nachdenken. Ein wichtiger Punkt sind auch verantwortungsvolle Medien. Deshalb habe ich eine gewisse Angst vor aktuellen Entwicklungen. Gemeint ist ein Amalgam von Populisten, die sich mit dem Boulevard auf ein Packl hauen und so Politik machen. So kann der Boulevard plötzlich Macht ausüben, einerseits in der Themensetzung, aber auch bei der Personalauswahl. Das ist schlecht für die Demokratie.

Was kann man dagegen unternehmen?
MANTL: Kurzfristig nicht viel. Mittelfristig bin ich deshalb der Initiative Mehrheitswahlrecht beigetreten. Sie ist eine Trägerrakete für mehr verfassungspolitische Fantasie. Das Problem ist nur die Zündung der Trägerrakete, die vorhandenen Kräfte werden das immer zu verhindern suchen, denn sie sind die Nutznießer des bestehenden Systems. Zünden kann diese Rakete wohl nur ein Volksbegehren. Ich sehe im Mehrheitswahlrecht die einzige Alternative: Die heutigen Mehrheitsverhältnisse bedeuten, dass sich die Mittelmäßigkeit an alle Funktionen klammert. Leider gilt in Österreich auch heute noch die alte Aussage: Man kann mit allen Spitzenpolitikern über alle Reformen diskutieren - dagegen steht dann immer das eisige Schweigen der Hinterbänkler. Genau diese Hinterbänkler garantieren die ausschließliche Versorgung der Mittelmäßigkeit. Ein neues Wahlrecht könnte frisches Wasser sein gegen die aktuelle Austrocknung der Politik.