William Shakespeare liebte Tyrannen aus gutem Grund: Kein Stoff bescherte ihm verlässlichere Erfolge als Dramen über Herrscher zwischen Allmacht und Ohnmacht. In der Realität würde niemand die Exzesse eines Richard III. erleben wollen, aber auf der Bühne garantierten schlechte Regenten stets das bessere Theater.

Wenn die Weltöffentlichkeit derzeit nach Nordkorea blickt, dann folgt auch sie vor allem der shakespearischen Lust am Schauen und Schaudern. Der kränkelnde Diktator Kim Jong-il will diese Woche seine Partei zusammenrufen, um seinen Sohn formell als Machterben zu installieren. Die Regentschaft des Kim-Clans soll in die dritte Generation gehen: 62 Jahre, nachdem Kim Il-sung mit Stalins Segen die Demokratische Volksrepublik Korea proklamierte, und 16 Jahre, nachdem dessen Tod seinen Sohn Kim Jong-il zum Alleinherrscher machte, soll nun Kim Jong-un schrittweise die Staatsgeschäfte übernehmen. Nordkorea wird so zur ersten kommunistischen Erbmonarchie.

Zuckerbrot und Peitsche

Allerdings erbt Kim Junior ein Regime mit wenig Handlungsspielraum und schwindender Autorität. Sein Großvater regierte noch mit dem Charisma eines Revolutionshelden. Zwar konnte Kim I. seine Versprechen nicht halten und sich nur durch Grausamkeit an der Macht halten, doch seine Aura reichte aus, um das Bild vom "Großen Führer" aufrechtzuerhalten. Kim Jong-il versuchte die Ausstrahlung seines Vaters zu imitieren, indem er sich als "Geliebten Führer" mit übermenschlichen Fähigkeiten inszenieren ließ: Bei seiner Geburt soll im tiefsten Winter der Frühling ausgebrochen sein. In Wirklichkeit beruht die Herrschaft jedoch auf einem Machtgeflecht aus Zuckerbrot und Peitsche. Die Familien der einflussreichen Fraktionen in Partei und Militär leben in einer abgeschlossenen Wohlstandssphäre, riskieren aber ihr Leben, wenn Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen.

Auch Kim III. dürfte propagandistisch verklärt werden. Sein politisches Überleben hängt aber davon ab, dass er die Privilegien der Elite sichern kann. Je stärker Nordkorea aber auf Konfrontationskurs geht, umso schwieriger kommt es an die nötigen Devisen.

Kim Jong-un hat also das Potenzial für eine große Tragödienfigur. In Richard III. belegte Shakespeare seinen tyrannischen Protagonisten mit dem Fluch, Freunde für Verräter zu halten und Verräter für Freunde - und nie wieder ruhig zu schlafen. Kim III. könnte ein ähnliches Schicksal erleiden - außer er beweist die Größe, das üble Spiel seiner Vorfahren zu beenden.