Wahre Liebe ist keine Glückssache und auch kein Zufall - wahre Liebe ist eine Wissenschaft." Yang Yue spricht mit warmherziger Bestimmtheit und einer Autorität, die sich in Prozent messen lässt. "Meine Erfolgsrate liegt bei 62 Prozent", erklärt sie. "Wer zu mir kommt, ist so gut wie verheiratet."

Yang Yue ist eine von 30 Heiratsvermittlern im Pekinger Büro von "Zhenqing Zaixian" ("Wahre Liebe Online"), einer der exklusivsten Partnerschaftsagenturen der Volksrepublik. Wer mit ihrer Hilfe den Bund fürs Leben schließen will, muss eine Aufnahmegebühr von mindestens 12.188 Yuan (1100 Euro) aufbringen, was in Peking mehreren monatlichen Durchschnittsgehältern entspricht. Von allen Teilnehmern werden Personalausweis, ein polizeiliches Führungszeugnis sowie Nachweise über Einkommen und Vermögen verlangt. Dafür verspricht "Zhenqing" professionelles Rendezvous-Coaching, handverlesene Dates und Beziehungsberatung vom ersten Treffen bis zum Hochzeitstag. "Viele Menschen gehen mit viel zu romantischen Vorstellungen an die Liebe heran", sagt Yang. "Dabei wird der Wettbewerb um gute Partner immer schärfer.

Einer von vier Männern wird keine Frau finden

Tatsächlich braucht sich "Zhenqing" um neue Kundschaft nicht zu sorgen. Ehevermittlung ist in der Volksrepublik eine Zukunftsbranche. Kupplerinnen wie Yang profitieren nicht nur davon, dass Ausbildungs- und Berufsstress vielen jungen Großstädtern die Zeit fürs Private rauben, sondern auch von der wachsenden Unausgewogenheit des chinesischen Geschlechterverhältnisses. Nach drei Jahrzehnten Ein-Kind-Politik, die zu massenhaften Abtreibungen von Mädchen führte, hat China einen rapide wachsenden Männerüberhang. 2005 gab es in der Generation der unter 20-Jährigen 32 Millionen mehr Buben als Mädchen. Bis 2020 dürfte der Überschuss von Männern im heiratsfähigen Alter 50 Millionen betragen. "Dann wird einer von vier Männern keine Frau finden", erklärt der Soziologe Liu Dajun von der Shandong-Universität. "Das hat für unsere Gesellschaft gravierende Folgen."

Als "guang guner" - nackte Äste - bezeichnen die Chinesen die alleinstehenden Männer, die zunehmend als soziale Risikogruppe wahrgenommen werden. Menschlich enttäuscht, familiär isoliert und sexuell frustriert hätten sie ein erhebliches Gewaltpotenzial und könnten auf die gesamte Gesellschaft destabilisierend wirken, warnen Bevölkerungsforscher. Dass Verbrechen wie Mord, Einbruch oder Vergewaltigung stark zugenommen haben, führt Lena Edlund von der US-Universität Columbia auch auf das Geschlechterungleichgewicht zurück.

Beschleunigte Veralterung

Die Angst vor den "nackten Ästen" führt dazu, dass in Chinas Medien zunehmend darüber diskutiert wird, ob es nicht endlich an der Zeit sei, die Geburtenbeschränkung abzuschaffen. Denn nicht nur die Geschlechter geraten zunehmend aus der Balance, sondern auch die Generationen. Die Ein-Kind-Politik beschleunigt die Veralterung. 2009 waren 180 Millionen Chinesen über 60 Jahre alt, was 14 Prozent der Bevölkerung entspricht. In zehn Jahren werden es schon 300 Millionen oder 17 Prozent sein. Und ab 2015 werde der arbeitende Anteil an der Bevölkerung sinken, warnt der Soziologe Wang Ming von der Peking Tsinghua Universität. "Langfristig könnte dies Chinas Wirtschaftswachstum einen tödlichen Stoß versetzen." Wachsende Kosten für Altenversorgung und Gesundheitssystem drohen Chinas Fortschritt das Kapital abzugraben. Da die meisten Chinesen für ihre Altersversorgung noch immer auf ihre Kinder angewiesen sind, spricht man bereits von der "Generation 4-2-1", wo jedes Ehepaar neben dem eigenen Kind auch noch vier Großeltern zu ernähren hat. Nur wenn es sich bei dem Ehepaar selbst um Einzelkinder handelt, darf es zwei Kinder bekommen, so wie auch die Landbevölkerung und ethnische Minderheiten mehr als ein Kind haben dürfen.

"Am Anfang war die Ein-Kind-Politik angemessen, weil sie Chinas beschränkten Ressourcen entsprach", schrieb kürzlich der Regierungsberater Hu Angang von der Akademie für Sozialwissenschaften. Immerhin habe die Regelung das Bevölkerungswachstum bis heute um 400 Millionen Menschen verringert. "Aber im aktuellen Entwicklungsstadium ist die strenge Kontrolle nicht mehr notwendig", meint Hu.

Die Regierung zögert

Da die 1979 unter Mao Zedongs Nachfolger Deng Xiaoping eingeführte Politik von Anfang an nur für 30 Jahre geplant gewesen war, solle nun damit Schluss sein. Aber noch zögert die Staatsführung. Also weiter nur ein Kind pro Paar - aber vielleicht nicht mehr ganz so streng geahndet wie bisher.