Die Nachricht schlug am Montag nicht nur in Deutschland wie eine Bombe ein: Horst Köhler tritt zurück! Der seit 2004 amtierende Bundespräsident begründete seinen Schritt in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in seinem Amtssitz im Schloss Bellevue in Berlin mit Kritik, die ihm wegen seiner Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr entgegengeschlagen sei. "Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte", sagte Köhler.

Nie zuvor hatte ein Bundespräsident so kurzfristig die Presse zu sich gerufen, ohne dass auch nur ein Hauch einer Ahnung kursierte, um was es denn gehen könne. "Er will zu dem Thema Bundeswehr und Afghanistan noch einmal etwas sagen", meinten angebliche Köhler-Kenner. Dass eine missverständlich formulierte Antwort auf eine harmlose Frage zur Rolle der Soldaten am Hindukusch zu einem Präsidenten-Rücktritt führen kann, auf diese Idee kam keiner der wartenden Reporter.

Rücktritt mit sofortiger Wirkung

Als sich dann am Montag kurz nach 14 Uhr die Tür zum Langhans-Saal im ersten Stock vom Schloss Bellevue öffnete und ein eher zögernder Bundespräsident an das schwarze Rednerpult mit dem Bundesadler trat, stockte allen vor Verblüffung der Atem: "Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten - mit sofortiger Wirkung." Köhler kämpfte mit einem Knödel im Hals, seine Frau Eva Luise blickte versteinert auf die Pressetribüne. Die knapp 20 Zeilen umfassende Erklärung war schnell verlesen. Die Sensation war perfekt: Der neunte Bundespräsident hatte als erstes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland soeben seinen sofortigen Abgang verkündet.

Die Gründe für den völlig unerwarteten Schritt ließ Köhler weitgehend offen. Begonnen hatte alles am 22. Mai mit einem Kurzinterview für das Deutschland-Radio, das ihm auf seinem Rückflug von deutschen Soldaten in Afghanistan eine eher beiläufige Frage gestellt hatte. Köhler sprach in seiner Antwort weitschweifig über den Zusammenhang von Militäreinsätzen und freien Handelswegen. Doch da die Frage des Reporters direkt zu Afghanistan gestellt war, interpretierte man auch Köhlers Antwort dementsprechend als eine Aussage zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

"Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung"

Köhler empfand dies als massive Kritik, "die so weit geht, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären". Köhler in seiner Erklärung am Montag: "Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen." Dass Köhler wegen eines verpatzten Interviews zurücktritt, ließ alle ratlos zurück. Seine zweite Amtszeit seit Mai 2009 stand allerdings von Anfang an unter keinem guten Stern. Ständig gab es in den Medien Kritik, er sei zu wenig präsent. Köhler seinerseits hatte sich bereits in der ersten Amtszeit immer wieder über mangelnde Rückendeckung durch Regierungschefin Angela Merkel beklagt.

Jetzt wird die Neuwahl des nächsten Bundespräsidenten, der ja nicht wie etwa in Österreich vom Volk direkt gewählt wird, ein Test für die Durchsetzungsfähigkeit Merkels. Denn angesichts der wachsenden Vielfarbigkeit in den Bundesländern scheint derzeit noch völlig unklar, welche Mehrheiten sich in der Bundesversammlung formieren werden, die binnen 30 Tagen zusammentreten muss, um das neue Staatsoberhaupt zu wählen. Interimistisch übernimmt der amtierende Bundesratspräsident, derzeit Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), wie in Artikel 57 des Grundgesetzes vorgesehen - "bei vorzeitiger Erledigung des Amtes" - die Geschäfte des Staatsoberhauptes. Bis 30. Juni. Dann sollte Deutschland ein neues Staatsoberhaupt haben.