"Meine Rente kann ich vergessen", sagt die Irini, die als 50-jährige Arbeitslose keine Aussicht auf einen Job sieht und der zur Mindestrente noch mehr als fünf Jahre Beitragsleistung fehlen. Auch ihr Mann fürchtet, dass es seiner kleinen Reinigungsfirma in Zukunft schlechter gehen wird. "Die Krise wird sicher noch Jahre anhalten", befürchtet er. Evangelos, knappe 70 und in seiner Athener Nachbarschaft als Griesgram bekannt, fürchtet sogar, Griechenland werde wieder Hungerzeiten wie nach dem Zweiten Weltkrieg erleben.

Langsam sickern Horrorszenarien des Sparprogramms durch. Die Stimmung der Griechen saust in den Keller. "Albtraum" titelten gleich zwei griechische Tageszeitungen und drückten damit aus, was viele denken. Eine neue Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei bis vier Prozentpunkte erweiterte Kündigungsmöglichkeiten für Unternehmen, vor allem aber die Streichung des 13. und 14. Monatsgehalts für öffentliche und private Angestellte.

Tausend Euro netto

Eleni ist eine von denen, die nach 15 Jahren Staatsdienst auf gerade einmal tausend Euro netto im Monat kommt. Sie kann durch die Streichung unmöglich ihr Bauspardarlehen abzahlen. Fast jede Familie spürt das "Sparprogramm", sei es durch ein arbeitslos gewordenes Familienmitglied, sei es durch die massiven Umsatzrückgänge im eigenen kleinen Laden - etwa 96 Prozent der griechischen Einzelhandelsunternehmen sind Familienbetriebe. Jüngsten Umfragen zufolge fürchten drei Viertel der Befragten eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensumstände in der unmittelbaren Zukunft.

Aus Europa hätte man sich in dieser Situation mehr Solidarität erhofft. Dem IWF wird ein allgemeines Misstrauen entgegengebracht: Die als Gegenleistung für die Kredite geforderten Maßnahmen werden als neoliberal betrachtet und der IWF gilt gemeinhin als "Trojanisches Pferd" der USA.

Der Komponist und Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis sagte, dass man die Griechen "beschämt und eingeschüchtert hat, um sie dem IWF in die Arme zu führen". Dem würde Dimitris, studierter Historiker und Intellektueller nicht folgen. Aber auch er meint, dass der Masterplan hinter der Schuldenkrise Griechenlands der Versuch sei, dem Land ein System wie in den USA aufzuzwingen. "Ohne jede staatliche Sozialleistung und ohne Tarifverträge und Kündigungsschutz", kritisiert er.

Die fehlende Solidarität aus Europa wird vor allem Deutschland, aber auch Ländern wie Österreich angelastet. "Gibt Merkel uns das Geld?", war die erste Frage, mit der wohl jeder in Griechenland lebende Deutsche in den letzten Wochen im Gespräch mit Bekannten konfrontiert wurde. Die harte Haltung der Bundeskanzlerin, im Volksmund mittlerweile auch als "Frau Nein" betitelt, hat dem Image Deutschlands schweren Schaden zugefügt. Gerade von dem Land, dem Hunderttausende als "Gastarbeiter" beim eigenen Aufbau beistanden, hatte man schnelle und unbürokratische Hilfe erwartet.

Wenn nun in Deutschland über "faule" und "unfähige" Griechen gesprochen wurde, weckt das antideutsche Ressentiments. So werden bei der Diskussion im Kafeneion, dem griechischen Pendant zum Stammtisch, auch Ideen wie Preisaufschläge für deutsche Touristen geäußert.

Denn die Hellenen versuchen natürlich, die Horrormeldungen von deutschen, aber auch österreichischen Boulevard-Zeitungen zu relativieren. Die große Mehrheit der Griechen lebt nicht in Saus und Braus. Das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau beträgt 73 Prozent des Durchschnitts der Euro-Zone.

"Was soll das mit unseren angeblichen Super-Renten?", schäumt Jannis, ein "frischgebackener" Pensionist: "Sie liegt bei 55 Prozent des Mittelwertes in der Euro-Zone". Und laut Europäischem Statistikamt gehe der durchschnittliche Grieche mit 61,4 Jahren in die Rente, der durchschnittliche Deutsche mit 61,7 Jahren. Es müsse etwas gegen die Staatsverschuldung getan werden, doch die getroffenen Maßnahmen seien ungerecht, lautet die einhellige Meinung der Bürger.

Heute wird demonstriert

Gekürzt werde lediglich bei denen, die ohnehin wenig haben. So stehen Streiks mittlerweile auf der Tagesordnung. Für den heutigen 1. Mai sind zahlreiche Großkundgebungen, für Mittwoch sogar ein Generalstreik angesetzt.

Sofia, Angestellte beim privaten Mobilfunkbetreiber Vodafone und politisch bei der Internationalen Arbeiterlinken engagiert, ist bei jeder Demo dabei. Aus ihrem Betrieb konnte sie aber bisher nur wenige zum Demonstrieren bewegen. "Die Kollegen finden die Maßnahmen zwar selbst auch alle ungerecht, glauben aber nicht daran, dass sie irgendeinen Einfluss haben".

Aber die meisten Griechen sind verzweifelt. "Den Menschen ist zum Heulen", sagt Jannis. Sie fühlen sich hilflos. Von einer "neuen Odyssee" hatte Giorgos Papandreou zur Beschreibung der Lage gesprochen, an deren Ende aber die sichere Ankunft im Hafen von Ithaka stünde. Jemand müsse den Ministerpräsidenten aufklären, kommentierte ein Blogger: "Odysseus wusste sehr wohl, wo Ithaka lag, brauchte für die Reise aber trotzdem zehn Jahre. Und am Ende kam er allein an, alle anderen waren unterwegs gestorben..."