Herr Bundespräsident, zu Weihnachten 1945 sagte Leopold Figl: "Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!" Heute zweifeln viele an Europa. Was sagen Sie diesen?

HEINZ FISCHER: Zu Weihnachten 1945 lagen die Städte in Trümmern, hungerten die Menschen, das kann man mit unserer Wohlstandsgesellschaft nicht vergleichen. Aber an Österreich und Europa zu glauben, Vertrauen zu haben, ist nach wie vor richtig. Das Jahr 2012 wird harter, schwieriger Maßnahmen bedürfen, auch wenn Österreich unter den 196 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zu jenen gehört, die sehr gut aufgestellt sind. Also kann ich heute unter gänzlich anderen Umständen wieder sagen: "Glaubt an Österreich!" Und auch dieser Satz ist berechtigt: "Glaubt an Europa!"

Ex-Kanzler Franz Vranitzky wünscht sich eine Stärkung Europas, eine "Politische Union" - auf Kosten der Souveränität Österreichs. Sie auch?

FISCHER: Europa muss stärker und wird stärker werden. Wir können nicht immer die Weitsicht der Staatsmänner der Nachkriegszeit loben - Adenauer, Churchill, De Gasperi, Figl oder Kreisky - und dann ihre Erkenntnisse aus den Tragödien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ignorieren. Wir müssen an dem europäischen Haus weiter arbeiten. Gerade, wo uns die Finanzmärkte Probleme bereiten, auch, weil sie nicht ausreichend kontrolliert sind, muss Europa mit einer noch stärkeren und besser koordinierten Stimme in den Zukunftsdialog eingreifen.

Viele Menschen wünschen sich vom Bundespräsidenten eine Art Garantie dafür, dass wir Ende 2012 noch mit Euro zahlen, das Triple A nicht verloren haben und die Pensionen gesichert sein werden. Können Sie das versprechen?

FISCHER: Kein Politiker kann hinsichtlich des Triple A eine Garantie abgeben, denn das vergibt eine private Agentur, die ihre Entscheidungen nach Kriterien trifft, die nicht leicht nachvollziehbar sind. Ich sage aber nichts Unvorsichtiges, wenn ich meine, dass der Euro auch Ende 2012 die zweitwichtigste Währung der Welt sein wird und die Pensionen 2012 sicher sind.

Unternimmt die Bundesregierung genug, um das Rating-Triple-A zu halten?

FISCHER: Die Regierung - das weiß ich auch aus vielen persönlichen Gesprächen - ist sich der Wichtigkeit dieser Aufgabe bewusst. Ich würde aber davor warnen, das Triple A zum Alpha und Omega unserer wirtschaftlichen Performance zu machen. Die Tatsache, dass wir relativ niedrige Arbeitslosenzahlen haben, unsere Realwirtschaft sehr leistungsfähig ist, wir eine sehr qualifizierte Arbeitnehmerschaft haben - das sind die eigentlichen Werte.

Sie haben die "schwierigen Maßnahmen", die uns erwarten, angesprochen. Welchen Beitrag soll Sparen zur Budgetkonsolidierung leisten, welche Steuern?

FISCHER: Es wäre unseriös, sich auf Prozentsätze festzulegen. Es geht darum, was wirtschaftlich vernünftig ist. Die Notwendigkeit, das Defizit im Zaum zu halten, ohne die Konjunktur abzuwürgen, die wird niemand bestreiten.

In welchem Bereich sollte nicht gespart werden?

FISCHER: Bildung und Forschung stellen Zukunftspotenziale dar: Man muss sie gießen, man darf sie nicht austrocknen.

Die Schuldenbremse ist nicht in Verfassungsrang. Werden Sie noch einmal die Initiative ergreifen?

FISCHER: Der Ball liegt bei Regierung und Parlament. Aber ich werde in den nächsten Tagen meine Neujahrsansprache für den 1. Jänner formulieren und ich möchte zu dieser Frage Stellung nehmen. Ich hoffe auf eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. Für ideal würde ich es halten, wenn alle Parteien im Interesse unseres Landes eine gemeinsame, sachliche Lösung fänden.

Sie haben der Opposition geraten, sie solle durch Fernbleiben ein Verfassungsgesetz ermöglichen. Diese fand das "demokratiepolitisch bedenklich". Ist da der alte Fuchs, der die Geschäftsordnung des Parlaments in- und auswendig kennt, mit Ihnen durchgegangen?

FISCHER: Die Frage ist erledigt, ich beharre nicht auf meinem Vorschlag. Aber so zu tun, als käme die Demokratie in Gefahr, wenn an einer Abstimmung im Nationalrat nicht alle 183 Abgeordneten teilnehmen, ist nicht redlich. Jeder Mandatar weiß, dass bei 90 von 100 Abstimmungen jemand fehlt. Es gab schon Abstimmungen, bei denen mehrere Abgeordnete bewusst den Saal verlassen haben - von der Gurtenpflicht bis zu Gesetzen in Zusammenhang mit Homosexualität.

In der Neujahrsansprache 2011 verlangten Sie, dass die Justiz die vielen Korruptionsfälle aufklären möge? Ist genug weiter gegangen?

FISCHER: Das Justizpersonal wurde aufgestockt und vor wenigen Tagen erklärte ein hoher Beamter des Justizministeriums, dass 2012 in der Causa Buwog über Anklage oder Nichtanklage entschieden würde. Ich bin froh, dass ich das vor einem Jahr so deutlich artikuliert habe, weil es vielleicht auch Anstoß gegeben hat, für die Bemühungen um Aufklärung.

Alle reden von den "Wutbürgern". Was macht Sie wütend?

FISCHER: Ich beschränke emotionale Ausbrüche aufgrund meines Temperaments wie meiner Funktion auf ein Mindestmaß. Aber natürlich gibt es Dinge, die einen zornig machen: Missbrauch von Vertrauen oder Korruption.

Wie begegnen Sie dem Umstand, dass sich "Wutbürger" von der Politik nicht vertreten fühlen?

FISCHER: Ich versuche, mit möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern in Dialog zu treten. Ich führe viele Gespräche und verbringe viel Zeit damit, Briefe und E-Mails zu beantworten. Da bekomme ich ein gutes Bild der Bevölkerung: Manches an Europa oder die Undurchschaubarkeit der Finanzmärkte werden kritisch gesehen; auch Korruption und der Stil mancher Politiker. Viele bringen aber auch zum Ausdruck, wie glücklich sie sich schätzen, in Österreich zu leben.

Sie haben heuer einen Fallschirmsprung gewagt. Wollten Sie zeigen: In Heinz Fischer steckt doch auch ein verwegener Kerl?

FISCHER: Seit ich in diesem Amt bin, hat sich meine Beziehung zum Bundesheer intensiviert. Und bei der zweiten Einladung zu einem Sprung im Rahmen einer Truppenübung sagte ich zu.

Wie war's?

FISCHER: Toll! Man köpfelt hinaus; der Himmel ist auf einmal unter einem und die Erde über einem; der Wind rauscht. Was mir da alles durch den Kopf gegangen ist! Es hat ewig gedauert - und ist im Nu vergangen.