Jonathan Gregano sieht müde aus. Er hat Ringe unter den Augen, seine Haare sind verklebt und seine Jeans verschmiert. Auf dem Pappteller, den er sich gerade an der improvisierten Feldküche mitten im Zuccotti Park in Manhattans Finanzdistrikt vollgeladen hat, liegt ein Gemisch aus Gummibärchen und kalten Nudeln, das er gierig in sich hineinschlingt. Seit drei Wochen campiert der 29-jährige Hip-Hop-Produzent mit Hunderten anderer Unzufriedener hier auf der schmucklosen Betonplaza am Trinity Place. Es war der einzige Ort im Bezirk, der den Demonstranten offen stand.

Die Wall Street war schon militärisch abgeriegelt, bevor die jungen Leute sich überhaupt versammeln konnten. Die New Yorker Polizei hatte ihre Twitter-Updates auch gelesen und sich in Hundertschaften rund um die Börse postiert. Die panzersicheren Barrikaden waren ausgefahren und Einsatzwagen blockierten die Zufahrten. Das symbolische Zentrum des Finanzkapitalismus wurde bewacht wie die Goldreserven von Fort Knox. Im mittlerweile gut durchorganisierten Lager am Zuccotti Park gibt es ein Medienzentrum unter einer Plane, wo ein Generator aufgestellt wurde und wo nun fleißig gebloggt wird. Einer der Demonstranten hat sich einen schlecht sitzenden Anzug angezogen und steht als Pressekontakt zur Verfügung. Es herrscht Woodstock-Atmosphäre im Kleinen. An jeder Ecke werden auf Gitarren und Banjos Protestlieder gespielt, überall finden sich spontane Diskussionsrunden zusammen. Die guten alten Organisationsformen der 60er-Jahre leben wieder auf, es gibt sogar Sit-ins. Doch am Rand des Parks lässt die Polizei mit ihrer ständigen Präsenz und ihren Überwachungskameras nie vergessen, dass dem Treiben enge Grenzen gesteckt sind.

So wie am vergangenen Samstag, als die Demonstranten versucht haben, über die Brooklyn Bridge zu marschieren. Der Zug hatte keine offizielle Genehmigung, 700 der 1500 Marschierer wurden verhaftet. Darunter auch Jonathan Gregano, der die Nacht in einem Untersuchungsgefängnis verbrachte, wie er mit einer Prise Galgenhumor berichtet. Eine Anklage gab es nicht.

Gregano ist ein typischer Wall-Street-Besetzer, wenn es so etwas denn gibt. Er hat 2008 Barack Obama gewählt, hat für ihn sogar Wahlkampf gemacht. Doch dann kam die Enttäuschung: die Tatsache, dass weder Guantanamo geschlossen noch der Irak-Krieg rasch beendet wurde; die immer offenkundigere Verstrickung auch seiner Regierung mit der Wall Street; die wachsende Armut und soziale Ungerechtigkeit; die Erkenntnis, dass sich auch unter Obama nichts grundlegend ändern wird. Und dann das Gefühl, etwas tun zu müssen.

Der Präsident bekundete unterdessen Sympathie für die Protestbewegung. Laut New York Times hoffen Strategen von Obamas Demokratischer Partei auf politischen Aufwind durch die linksgerichteten Proteste, die demnach ein Gegengewicht zur rechtsgerichteten "Tea Party" bilden könnten.