Reisen bildet. Was war für Sie die prägendste Erfahrung Ihrer Amerika-Reise, von der Sie heute heimkehren? WERNER FAYMANN: Die Erkenntnis, wie groß die Sorge der Amerikaner, aber auch der anderen Kontinente, um die Zukunft des Euro und Europas ist. Wie stabil ist eure Währung und eure Wirtschaft, diese Frage wurde mir am häufigsten gestellt. Die Angst um Griechenland wird auf der ganzen Welt mit Anteilnahme diskutiert. Was mich überrascht hat: Mit welcher Offenheit ich von Politikern aus aller Welt auf die Schwächen der EU angesprochen wurde.

Was ist in den Augen der anderen die größte Schwäche der EU? FAYMANN: Die Vielstimmigkeit. Jerry Brown, der kalifornische Gouverneur, hat mich am Samstag gefragt: Wie kann diese europäische Union überhaupt funktionieren, mit so vielen Regierungen, mit so vielen Parteien? Er wollte auch wissen, wie eine Koalition wie die österreichische funktionieren kann, wenn der politische Kontrahent Partner einer gemeinsamen Regierung ist.

Was haben Sie dem Gouverneur geantwortet? FAYMANN: Dass man stark ist, wenn man die gemeinsamen Kräfte mobilisiert. Und schwach, wenn man die Kräfte gegeneinander einsetzt.

Letzteres ist der Fall. Ihre Regierung streitet, aber gestaltet nicht. FAYMANN: Deshalb erinnere ich an die Wirtschaftskrise vor zwei Jahren: Wir haben sie gemeistert, weil wir die schöpferische Kraft der beiden Parteien zum Wohl des Landes gebündelt haben. Zu dieser Einigkeit müssen wir zurückfinden, wenn wir uns von den Finanzmärkten unabhängig machen und das Triple A verteidigen wollen. Wenn uns das nicht gelingt, laufen wir Gefahr, dass wir diese höchste Bonität einbüßen und irgendwann womöglich ein Kandidat für den Schutzschirm werden. Das können wir in der Regierung nur gemeinsam verhindern. Das heißt, wir müssen jetzt handeln und die Zukunft des Landes sichern, anstatt die Energie mit Grabenkämpfen und Polemiken zu vergeuden.

Amerika steht an der Schwelle zu einer zweiten Rezession. Ist Österreich für einen abermaligen wirtschaftlichen Rückschlag gerüstet? FAYMANN: Wir müssen dringend zusätzlich sparen und wir brauchen dringend zusätzliche Einnahmen, etwa aus dem Zuwachs von Vermögen, um in die Forschung und Bildung zu investieren. Sonst können wir den Karren nicht in Schwung bringen.

Wo wollen Sie sparen? FAYMANN: In der Verwaltung. In der Bürokratie.

Wo in der Bürokratie? FAYMANN: Es geht in der öffentlichen Verwaltung darum, mit weniger Mitarbeitern gleich viel zu leisten, beispielsweise durch eine effizientere Nutzung der technischen Rationalisierungen wie EDV. Ich befürworte auch eine Transparenzdatenbank, wie sie Josef Pröll vorschlug. Damit man sieht, wo der Staat drei-, vier- oder fünfmal fördert. Das Triple A haben nur noch sechs Länder in der EU. Das sichern wir nur dann, wenn wir heute die richtigen Schritte für das Morgen setzen.

Man hat nicht den Eindruck, dass die Regierung die Willenskraft für weitere Reformen aufbringt. Österreich hat derzeit zwei getrennte Regierungen. FAYMANN: Ich werde nach meiner Rückkehr ein Machtwort im Kabinett sprechen. Dieses Machtwort wird sich nicht gegen den Koalitionspartner richten, sondern an jene Kräfte in beiden Parteien, die für Österreich das Beste wollen.

Schließen Sie Neuwahlen aus? FAYMANN: Die schließe ich dezidiert aus. Damit liebäugeln nur jene, die einen persönlichen Vorteil aus Umfragen erzielen wollen. Das ist unredlich. Ich will mit Leuten zusammenarbeiten, die sich fragen: Was kann ich für das Land tun?

Viele haben ein schauriges De-ja-vu: Sie erleben eine zerstrittene Regierung, die dort angelangt ist, wo die früheren Großen Koalitionen waren, ehe sie zerbrachen. Ist Ihr Kabinett lernunfähig? FAYMANN: Der Vergleich zur Großen Koalition vor uns ist unangebracht. Ich habe als Minister miterlebt, wie gehässig die Stimmung damals war. Das ist, was das Verhältnis zu Michael Spindelegger, aber auch zu anderen Ministerkollegen betrifft, jetzt überhaupt nicht der Fall. Da ist ein ungleich stärkerer Zusammenhalt da. Natürlich gibt es hüben wie drüben Leute, die die Zwietracht bevorzugen. Das ist so in einer großen Partei.

Eine Gefahrenquelle für das Land und sein Budget sind die Pensionen. Die Österreicher wechseln zu früh in den Ruhestand, im Schnitt sind sie nicht einmal 60. Wie wollen Sie das Antrittsalter rasch anheben? FAYMANN: Wir müssen es schleunigst über die 60er-Grenze bringen. Rudolf Hundstorfer kommt aus der Gewerkschaft und hat ein Gespür für die soziale Balance. Er ist der richtige Mann für diese Reform. Er ist auch schon sehr weit.

Das sind kosmetische Retuschen. FAYMANN: Mit Brachial-Maßnahmen ist niemandem geholfen. Mir sind pragmatische Schritte lieber, als wir treffen uns bei Demos und Gegen-Demos. Wir können Gegensätze sozialpartnerschaftlich ausgleichen. Seien wir doch stolz auf das Miteinander, dass wir nicht eine Jugendarbeitslosigkeit von zwanzig Prozent haben wie anderswo. Weichen wir doch nicht von einem Kurs ab, den wir von unseren politischen Großeltern und Eltern gelernt haben.

70 Prozent der Bürger wollen sich mit dieser Form von Politik laut Studie nicht mehr befassen. Das ist kein Anlass zu Stolz, sondern unterhöhlt Demokratie und Gemeinwesen. FAYMANN: Sie haben recht. Ich habe in Amerika mit Schrecken erlebt, wie tief der Graben zwischen den ideologischen Lagern ist und wie sehr Hass und Feindseligkeit ein Land atmosphärisch vergiften können. Das nehme ich als Erfahrung mit. Auch Ungarn hat durch das jahrelange blindwütige Gegeneinander zwischen Links und Rechts seinen Vorsprung in Osteuropa eingebüßt. So weit darf es in Österreich nie kommen. Ich will nicht, dass wir später einmal einen Zustand beweinen müssen, den wir jetzt noch gemeinsam korrigieren und steuern können. Ich will alles dafür tun.

Sie haben in New York die Spitzen der Europäischen Union getroffen. Wie kann die Gemeinschaft aus der Krise herausfinden? FAYMANN: Das wird Jahre und nicht Monate dauern. Wer anderes verspricht, ist unaufrichtig. Es wird ein langwieriger Prozess, die volkswirtschaftliche Kluft zwischen dem Norden und dem Süden auszugleichen. Das kann nur gelingen mit einer Gleichzeitigkeit aus solidarischem Schutz und strikten Bedingungen. Um diese Balance werden wir noch viele Male ringen müssen. Es geht nicht darum zu sagen: Na ja, Griechenland werden wir uns schon noch leisten können. Was jetzt beschlossen wird, muss ja im Notfall auch für andere gelten. Hier kann es kein Augenzwinkern geben.

Schließen Sie einen Ausschluss Griechenlands aus der EU aus? FAYMANN: Nein, das kann ich nicht ausschließen. Wenn sich jemand nicht an die Bedingungen hält, können wir ihm dauerhaft kein Geld überweisen. Da würden wir die Solidarität der Bürger fahrlässig aufs Spiel setzen. Sie ist nicht uferlos strapazierbar.

Gegen Sie laufen im Zusammenhang mit der Inseraten-Affäre gerichtliche Ermittlungen. Wie sehr belastet Sie das? FAYMANN: Die FPÖ hat eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Mein Vertrauen hat nicht die FPÖ, sondern die Staatsanwaltschaft. Daher ist mir lieber, die Anklagebehörde schaut sich was an als die Freiheitliche Partei.

Am Wochenende sind neue Vorwürfe aus Ihrer Zeit als Verkehrsminister ruchbar geworden: Ihr Ministerbüro habe bei Zeitungen direkt Inserate geschaltet, unter Umgehung des Asfinag-Vorstandes, aber auf Rechnung der Autobahngesellschaft. Bei der Asfinag habe man gelegentlich erst aus der Zeitung davon erfahren. FAYMANN: Die Vorwürfe gehen ins Leere. Sowohl die Vorstände der ÖBB als auch der Asfinag haben erklärt, dass sämtliche Beschlüsse in diesem Zusammenhang rechtmäßig zustande gekommen sind. Bitte, es gibt jeden Tag Kontakte zwischen dem zuständigen Ministerbüro und den betroffenen Unternehmen. Die Gesprächsthemen reichen von den Fahrplänen bis zur Imagewerbung. Die endgültigen Entscheidungen sind aber immer dort, im Unternehmen, gefallen und nirgendwo sonst.