Nach zwei Jahren relativer Ruhe brodelt es wieder in , der Unruheprovinz in Chinas Wildem Westen. Mindestens 19 Tote soll es in den letzten Tagen in Kashgar, der alten Oasen-Stadt an der legendären Seidenstraße gegeben haben. Ob diese Zahl stimmt, wissen nur die Behörden. Die Staatsagentur sprach zunächst von einer schweren Explosion, dann von tödlichen Messerattacken und schließlich von Schießereien. Einige der "Aufrührer", so der offizielle Jargon, seien von Polizisten erschossen worden, anderen sei die Flucht gelungen. Fest stehe, dass sie Uiguren und dass sie vom pakistanischen Geheimdienst ausgebildet worden seien. So weit die dünne Faktenlage.

Wenn man auf Spannungen zwischen Uiguren und Chinesen zu sprechen kommt, wiegeln die Politiker im Urumqi, der Hauptstadt der "autonomen Provinz" Xinjiang-Uigur empört ab. Auf meine diesbezügliche Frage sagte der stellvertretende Provinz-Chef, ein Uigure, wenige Tage vor den jüngsten Unruhen: "Hier gibt es keine Spannungen. Chinesen und Uiguren und die anderen elf Volksgruppen in Xinjiang leben friedlich miteinander. Wenn es Probleme gibt, dann nur, weil ausländische Aufrührer ihre Hände im Spiel haben."

Es ist schwer nachzuprüfen, inwieweit diese Aussage stimmt. Das liegt nicht nur an den Verständigungsproblemen. Denn die meisten Uiguren beherrschen - und das oft mangelhaft - nur eine Fremdsprache: Chinesisch. Untereinander sprechen sie uigurisch, eine mit dem Türkischen verwandte Sprache.

In einer verrauchten Spelunke im Uiguren-Viertel von Urumqi, gleich neben einer mächtigen Moschee, kamen wir dann doch ein wenig ins Plaudern. Seit den schweren Unruhen vor zwei Jahren, die mindestens 200 Tote gefordert hatten, sei vieles besser geworden, erzählt ein uigurischer Basarhändler. Die Chinesen hätten seither viel Geld in die Provinz investiert, in Straßen, Schulen und Spitäler. Und ein anderer ergänzte: "Schauen Sie sich doch um bei unseren unmittelbaren Nachbarn Pakistan, Afghanistan oder Kirgisien: überall Krieg! Da leben wir ja in einem Paradies."

Bier nur im Hinterzimmer

Doch nach ein paar Bier, die man in dieser islamisch geprägten Gegend, in der viele Frauen nur tief verschleiert das Haus verlassen, im Hinterzimmer süffelt, legten die Uiguren ihr Misstrauen gegenüber uns und unserem chinesischen Dolmetscher allmählich ab. "Es stimmt schon", sagte einer, die Chinesen tun jetzt mehr für uns Uiguren - aber erst seit den schweren Unruhen vor zwei Jahren. Erst da haben sie begriffen, dass ihnen in Xinjiang ein zweites Tibet droht." Aber mögen täte er die Chinesen deshalb noch lange nicht. Diese seien halt die Kolonialherren in diesem Land. Und unser Dolmetscher bestätigt: "Beliebt sind wir hier wirklich nicht. Allein würde ich als Chinese nur ungern in dieses Viertel gehen."

Mit Uiguren, die für eine Unabhängigkeit "Ostturkestans" - so die in China verbotene Bezeichnung für Xinjiang - plädieren, wird meist kurzer Prozess gemacht. Erst kürzlich sollen 14 "Randalierer" erschossen worden sein. Erfahren kann man dies nur hinter vorgehaltener Hand. Denn auch die lokalen Zeitungen, die in den vier Hauptsprachen Chinesisch, Uigurisch, Kasachisch und Mongolisch erscheinen, unterliegen einer strengen Zensur - ihr Boss ist Chinese und natürlich auch Parteimitglied.

Xinjiangs Parteichef Zhang Chunxian - ebenfalls ein Chinese - kündigte am Dienstag ein hartes Vorgehen gegen "illegale religiöse Aktivitäten" an. Allerdings sind es just diese Maßnahmen, die bei vielen Uiguren für Unmut sorgen: Moscheen werden streng kontrolliert, Religionsunterricht für Kinder ist weitgehend verboten, Wallfahrten nach Mekka müssen von den Behörden genehmigt werden und vielen Uiguren wird der Reisepass verweigert.

Uigurien wird "chinesisiert"

Die Machthaber könnten es sich gar nicht leisten, die Region, die von Peking fast so weit entfernt ist, wie von Istanbul, in die Unabhängigkeit zu entlassen. 80 Prozent aller Bodenschätze Chinas werden in Xinjiang gefördert - vom Erdöl bis zu Gold, Eisenerz und den für die Computerindustrie so kostbaren "Seltenen Erden". Die Startrampen für Chinas ehrgeiziges Raumfahrtprogramm liegen ebenso hier wie das Testgelände für die chinesischen Atomwaffen.

Daher wird in Xinjiang auch mit allen Mitteln "chinesisiert". Zu Mao Tse Tungs Machtergreifung vor 62 Jahren noch eine kleine Minderheit im Land, sind mittlerweile 41 Prozent der Bewohner Han-Chinesen. Und täglich werden es mehr. In der Hauptstadt Urumqi wurden in den letzten Jahren ganze Uiguren-Viertel samt Moscheen abgerissen, um Platz für die Hochhäuser der Chinesen zu schaffen.

Und in einer Schule in Urumqi hören wir, wie intensiv junge Uiguren von der allmächtigen KP indoktriniert werden. Ein junges Mädchen erklärt uns, begleitet vom heftigen Applaus der Mitschüler und der Lehrerin: "Früher sagten wir ,Allah ist groß!' Heute sagen wir: ,Die Partei ist groß!'".

Ob aber die Mehrheit der Uiguren so denkt, darf zumindest bezweifelt werden.