In der Elektrotechnik sagt man, Spannung mal Stromstärke ist die Leistung. Wie messen Sie Leistung?

MICHAEL SPINDELEGGER: Es ist in einem Dreigestirn zu messen. Man muss Leistung fordern, etwa als Staat bei der Wehrpflicht. Bei der Bildung muss man Leistung fördern. Jeder muss lernen, dass Leistung von ihm auf dem Arbeitsplatz verlangt wird. Und es gibt die Leistung, die materiell nicht nachvollziehbar ist. Ich denke an die Nachbarschaftshilfe oder an die vielen Freiwilligen.

Der Philosoph Liessmann sagt, Leistung ist, was man nicht in die Wiege gelegt bekommen hat, sondern sich durch eigene Anstrengung erarbeitet.

SPINDELEGGER: Mit dieser Definition kann ich gut leben.

Leistung wird bei uns stark durch Geld gemessen. Ist Geld wirklich das adäquate Kriterium?

SPINDELEGGER: Nein. Wie viel Geld man hat, lässt keinen Rückschluss auf Leistung zu. Ich stelle Leistung ins Zentrum unserer Politik, weil sie nicht mehr den ihr zukommenden Stellenwert hat. Im Radio beginnt man, schon am Mittwoch die Tage bis zum Wochenende zu zählen.

Sind wir zu wenig calvinistisch und zu viel katholisch?

SPINDELEGGER: Nein. Wir leben in einem Land, wo Wohlstand zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Das führt zu einer Verkehrung der wichtigen Dinge des Lebens. Die ÖVP muss für die Leistungserbringer ein Anker sein.

Die Billa-Kassiererin, die 40 Stunden arbeitet und 1000 Euro bekommt, hat nicht den Eindruck, für ihre Leistung entsprechend entlohnt zu werden.

SPINDELEGGER: Das lasse ich so nicht gelten. Ich komme aus der Hinterbrühl, wo an der Billa-Kassa viele aus der Steiermark sitzen, die täglich mit dem Autobus hin und her geführt werden, weil es sonst niemanden gibt, der eine solche Arbeit macht. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Damen völlig unzufrieden sind. Das zeigt sich ja auch daran, wie man dem Kunden gegenüber auftritt. Da gibt es nicht den Frust.

Alle Studien sagen, dass bei der Bildung nicht die Leistung, sondern die Herkunft zählt.

SPINDELEGGER: Es ist unbestritten, dass vielfach heute immer noch die Herkunft den Bildungsweg entscheidet, und das ist schlecht. Für mich ist das Wesentliche, dass Bildungssysteme durchlässig sind. In dieser Hinsicht haben wir schon einiges erreicht. Was ich ablehne, ist eine Verkürzung der Bildungspolitik, die darauf abzielt, entweder ist man für die Gesamtschule, dann ist es okay, oder man ist nicht dafür, dann ist alles schlecht.

Wo ist die Leistung beim Erben?

SPINDELEGGER: Die Leistung hat der Erblasser erbracht.

Der Erbe hat nichts geleistet. Warum muss man dafür keine Steuern zahlen? Das ist doch nicht leistungsgerecht.

SPINDELEGGER: Wer sich etwas anspart und aufbaut, mit Nachbarschaftshilfe mühsam sein Haus selber baut und es dann seinem Sohn oder seiner Tochter übergibt, der hat schon alle Steuern bezahlt. Warum sollten die Kinder nochmals dafür zahlen?

Es war ja die Leistung der Eltern.

SPINDELEGGER: Ich glaube nicht, dass das Generationendenken in Österreich tot ist. Wohin führt das denn, wenn jeder, der sich selbst etwas aufbaut, sich sorgen muss, ob die Kinder sich das überhaupt leisten können? Dass man alles besteuert, was Substanz an Eigentum ist, ist mit mir nicht zu machen. Damit würden wir genau das Gegenteil erreichen, nämlich dass jeder in den Tag hinein lebt und sich nichts Bleibendes aufbaut.

Sind hohe Einkommenssteuern nicht leistungsfeindlich?

SPINDELEGGER: Diese sind unter dem Begriff Solidarität notwendig. Wenn ich heute bei einer bestimmten Einkommensgröße die Hälfte von dem abgebe, was ich verdiene, ist das eine gewaltige Solidaritätsabgabe.

Jede Studie belegt, dass Arbeit hierzulande zu stark belastet ist.

SPINDELEGGER: Hier haben wir sicher ein Plafond erreicht. Aber was ist bei uns bei der Arbeit wirklich das Teure? Es sind das Abgaben, die wir für das Sozialversicherungssystem brauchen, und da sehe ich noch nicht wirklich Alternativen. Wenn wir sagten, wir machen das viel billiger und gehen weg von der Pensionsversicherung oder der Krankenversicherung, entspricht das nicht meiner Einstellung. Sozialversicherung, Pension, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, das ist Teil des österreichischen Lebensmodells. An dem möchte ich nicht rütteln, Was mir vorschwebt, ist, die Steuersystematik anders aufzubauen. Wer einmal eine Steuererklärung ausgefüllt hat, weiß, dass das eine ziemliche Herausforderung ist.

Eine Steuerreform vor der Wahl ist eine gefährliche Drohung, oder?

SPINDELEGGER: Ich halte es nicht für realistisch, dass wir uns mit der SPÖ vor einer Wahl auf eine große Steuerreform, so wie wir uns das in der ÖVP vorstellen, einigen. 2013 ist für mich das Jahr, wo die Frage Steuersystematik neu zu diskutieren ist.

Warum dürfen Unternehmer ihre Geschäfte am Sonntag nicht offen halten und so viel leisten, wie sie wollen?

SPINDELEGGER: Weil wir einen Konsens in Österreich haben, dass der Sonntag für einen Großteil der Arbeitnehmer arbeitsfrei ist. Das ist für manche, die religiös sind, ein wichtiger Tag, ihrem Glauben nachzukommen. Für andere ist es ein Familientag.

Familie ist wichtiger als Leistung?

SPINDELEGGER: Natürlich. Es gibt viele individuelle Elemente, die wichtig sind. So ist auch Gesundheit ein elementarer Wert. Es soll sich niemand zu Tode rackern. Ich will in Österreich nicht eine Gesellschaft haben, die vor lauter Arbeit und Leistung die Freude am Leben verliert.

In den Umfragen schaut es nicht rosig ist. Haben Sie als ÖVP-Chef bisher genug geleistet?

SPINDELEGGER: Ich glaube schon. Der Aufbau des Regierungsteams war ein großer Erfolg. Es sind gute Leute. Vor allem Sebastian Kurz, der am Anfang besonders scheel angeschaut wurde, hat sich unglaublich bewährt.

Und die Scharmützel mit der Steiermark?

SPINDELEGGER: Wir haben den Streit beigelegt. Ich begrüße jede Diskussion, wenn es inhaltliche Vorschläge gib. Da erwarte ich mir auch, dass gerade die ÖVP Steiermark, die viele gute Köpfe hat, sich in diesen inhaltlichen Prozessen stark einbringt.

Was war die größte Leistung Ihres Lebens?

SPINDELEGGER: Das ist eine gute Frage. Die ist aus meiner Sicht nicht in der Politik zu suchen, sondern im privaten Bereich. Aber diesen teile ich mit meiner Familie und will ihn nicht öffentlich ausbreiten.