In der vergangenen Woche war von einem Tag der Entscheidung für Griechenland die Rede. Nach langem Zittern wird nun weiter gezahlt. Sie sprechen sich dennoch ganz klar für eine langfristige Umschuldung Griechenlands aus. Warum?

FRIEDRICH SCHNEIDER: Das Land wird mit diesem Schuldenberg und dieser restriktiven Wirtschaftspolitik stranguliert. Das Land hat keine Chance, auf eigene Füße zu kommen, das Land hat keine Chance, wieder gesund zu werden, wenn nicht ein Teil der Altlasten, die zur Hälfte eigenverschuldet, zur Hälfte durch die Weltfinanzkrise verschuldet sind, längerfristig gestreckt werden. Wenn man immer nur neue Sparpakete verordnet und wie verrückt privatisiert, dann kommen sie nie von dem Schuldenberg runter. Man muss jedem Land eine faire Chance geben, die Griechen haben viele Fehler gemacht, das aber auch eingesehen. Wenn man das Land stranguliert, haben wir alle nichts davon, dann ist es bankrott und wir müssen alles abschreiben.

Was verstehen Sie unter langfristiger Umschuldung?

SCHNEIDER: Auch die betroffenen Kreditinstitute müssen endlich in die Verantwortung genommen werden, die haben ja auch lange glänzend an Griechenland und anderen Ländern verdient. Man kann nicht nur sagen, wenn die Anleihe gute Renditen abwirft, ist das toll, in dem Moment, wo das nicht mehr so ist, dann aber so tun, als ginge einen das nichts mehr an.

Was bedeutet das?

SCHNEIDER: Ein Nachlass von 30 Prozent, eine Umschuldung in Form einer Schuldenerstreckung auf die nächsten 20 Jahre. Dann gibt es eine realistische Chance, dass der Rest ordentlich verzinst zurückkommt.

Skeptiker warnen davor, dass mit einer Umschuldung eine neuerliche globale Eskalation der Finanzkrise einhergehen würde. Teilen Sie diese Sorge nicht?

SCHNEIDER: Man muss das natürlich auch politisch sehen. In Frankreich nahen die Wahlen, Präsident Sarkozy möchte natürlich unbedingt vermeiden, dass eine französische Bank, die sich in Griechenland engagiert hat und lange und sehr gut damit verdient hat, durch mögliche Abschreibungen wieder in Schwierigkeiten kommt. Das ist eine sehr eigennützige Politik. Richtig ist, dass einzelne Banken dadurch in Probleme geraten könnten. Das Weltfinanzsystem gerät dadurch in keinster Weise aus den Fugen.

Könnte es nicht fatale pädagogische Auswirkungen auf die Sparbemühungen in anderen Problemländern wie Portugal oder Irland haben, wenn die Umschuldung offiziell zur Option wird?

SCHNEIDER: Das ist richtig und ein gutes Argument. Wenn man dem einen hilft, streckt auch der andere die Hand aus. Umgekehrt, wenn ich Griechenland bankrottgehen lasse, haben morgen die Portugiesen und Spanier ähnlich ernste Probleme.

Hat man das Problem auf europäischer Ebene zu lange negiert?

SCHNEIDER: Wenn man die Probleme immer nur kurzfristig löst, etwa aus innenpolitischen Motiven heraus wie in Frankreich, dann kann das gut gehen, kann aber auch richtig ins Auge gehen. Ich plädiere immer für eine Vorwärtsstrategie. In dem Fall finde ich es besser, Griechenland zu entschulden, selbst mit der Gefahr, dass ich weitere Kandidaten habe, die an die Tür klopfen. Aber dann habe ich das Heft in der Hand. In beiden Fällen sind wir in einer enorm schwierigen Situation, weil wir dafür auch keine Vorsorge getroffen haben, uns nicht vorstellen konnten, dass so etwas einmal passiert.

Ist der Vorschlag von EZB-Chef Trichet, wonach ein europäisches Finanzministerium nötig wäre, realisierbar? Das würde doch auch weniger Souveränität für die Mitgliedsländer bedeuten.

SCHNEIDER: Das lässt doch kein Land zu, so weit ist Europa noch nicht, dass wir zu einem föderalen Bundesstaat werden und solche Kompetenzen zentralisieren können. Das ist eine reine Utopie, die absolut nichts bringt. Ich kann dem Vorschlag gar nichts abgewinnen, da würden die EU-Bürger rebellieren. Dann zerfällt Europa.

Lässt sich die Rettung der Schuldenländer politisch überhaupt noch verkaufen?

SCHNEIDER: Das wird immer schwieriger, weil mit der griechischen Situation vielfach politisches Kleingeld gemacht wird. Man lenkt auch von den eigenen Problemen ab. Reiche Länder wie Deutschland und Österreich dürften niemals diese Verschuldungssituation haben, wie das derzeit der Fall ist. Komischerweise wird das kaum diskutiert. Wir haben nicht einmal in der Hochkonjunktur ein ausgeglichenes Budget zusammengebracht. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Aber die Egoismen in der Europapolitik dominieren, Solidarität ist kaum mehr auszumachen.

Kann man hier entgegenwirken?

SCHNEIDER: Es funktioniert nur dann, wenn wir aus dieser Schuldensituation lernen und dann in kleinen überschaubaren Schritten ein Europa zurechtlegen, das auch vom Bürger getragen wird.

Die Zahl der Euro-Apokalyptiker nimmt europaweit dramatisch zu. Hat der Euro bzw. die Euro-Zone in ihrer jetzigen Form Zukunft?

SCHNEIDER: Eine große Zukunft sogar. Bislang haben die meisten vom Euro gewaltig profitiert. Wir haben hier in Europa derzeit viele Strömungen, die von der Abschaffung des Schengen-Raumes bis hin zur Euro-Abschaffung reichen. Gerade für Rechtsparteien ist es derzeit attraktiv, damit zusätzliche Stimmen zu gewinnen. Wenn man sich aber den Euro-Wert gegenüber dem Dollar anschaut, dann sehen wir, dass fast alle internationalen Investoren dem Euro mehr zutrauen als wir Europäer ihm zutrauen. Wir können es allerdings schaffen, den Euro kaputt zu reden und dann tatsächlich kaputt zu machen.

Mit welchen Konsequenzen?

SCHNEIDER: Dann schau' ich mir an, ob wir bessere Chancen hätten, wenn etwa die Italiener auf einen Schlag abwerten und unsere Holzindustrie aus dem Markt fegen.

Wie kann ein Land, das nur einen geringen Prozentsatz der EU- Wirtschaftsleistung ausmacht, zum Fallbeil für den Euro werden?

SCHNEIDER: Weil auch viele andere Länder ihre Staatshaushalte nicht in Ordnung haben, das wird bei uns, aber auch in Deutschland, derzeit durch das Wirtschaftswachstum zugedeckt. Wenn man hohe Außenschulden hat, ist man von den internationalen Finanzmärkten abhängig. Wenn die aus rationalen oder auch weniger rationalen Gründen ihre Einschätzung zu einem Land ändern, wird es schwierig.

Was muss sich ändern, damit künftig nicht wöchentlich die Euro-Krise ausgerufen wird?

SCHNEIDER: Wir brauchen endlich neue Spielregeln, werden die verletzt, muss es durch einen Regelmechanismus klare Sanktionen geben. Bis hin zum geordneten Ausschluss. Und zwar schon viel früher, nicht erst, wenn die Scheune lichterloh brennt. Griechenland jetzt rauszuschmeißen, kostet mehr als es bringt. Hätte man einigen Ländern die Rute schon 2003 ins Fenster gestellt, als die Maastricht-Kriterien ohne erkennbaren Grund verletzt wurden, wäre gar nichts passiert.

Was kann man der griechischen Bevölkerung noch zumuten?

SCHNEIDER: Nichts mehr. Griechenland steckt in der Dilemma-Situation einer scharfen Rezession und Einkommensrückgängen zwischen 30 und 40 Prozent. Das muss man sich einmal vorstellen, das geht ans Eingemachte. Griechenland braucht Zeit und Luft zum Atmen, damit es wieder auf die Füße kommt.

Man geht von Privatisierungserlösen von bis zu 50 Milliarden Euro in Griechenland aus. Das klingt nach Wunschkonzert, ist das realistisch?

SCHNEIDER: Das ist tatsächlich reichlich utopisch. Das ist so, als müssten Sie bis Montag Ihr Auto verkaufen, also unter Druck. Wenn jeder weiß, dass die Griechen privatisieren müssen, dann werden die Gebote dementsprechend niedrig sein. Insofern bin ich hier sehr skeptisch.