Sie verlassen am Freitag offiziell die politische Bühne: Wie viel Wehmut schwingt mit?

JOSEF PRÖLL: Das ist mit dem Parteitag in Innsbruck ein besonderer Tag für mich. Hierher hat mich im März der Rettungshubschrauber geflogen, hier nehme jetzt Abschied. Wehmut ist keine dabei. Ich bin dankbar für die acht Jahre in der Regierung. Ich wurde mit 33 Jahren Umweltminister und dann Parteichef, Vizekanzler und Finanzminister. Das ist eine unglaubliche Lebenserfahrung für mich, die mir keiner mehr wegnehmen kann.

Von Hermann Hesse stammt der Aphorismus, wonach man nicht wisse, was schlimmer sei: Wenn das Telefon immer läutet oder niemals. Wie gehen Sie damit um, dass es ruhiger geworden ist?

PRÖLL: Ich genieße die Verlangsamung meines Lebens. Ich bin oft ein enormes Tempo gegangen, oft länger sitzen geblieben als es notwendig gewesen wäre. Aber das war okay: Ich bin ein Politiker gewesen, der auf persönliche Kontakte gesetzt hat. Jetzt wird es langsamer und das tut gut. Ich glaube, dass die Politik insgesamt langsamer, bedachter und nachdenklicher werden muss.

Sind Ihnen diese Gedanken erst im Krankenbett gekommen?

PRÖLL: Gefühlt habe ich es schon länger. Wenn ich zum Beispiel in Brüssel große Verantwortung zu tragen hatte und gleichzeitig auch in Österreich eine Antwort geben sollte. Und zwar sofort. Ich habe hin und wieder darüber nachgedacht, wie das wohl in den 70er Jahren gewesen sein mag. Ich glaube, damals hat man über Entscheidungen länger nachgedacht. Je schneller es wird, desto schwieriger wird es, qualitätvolle Politik an den Tag zu legen.

Wann haben Sie gewusst, dass Sie zurücktreten müssen?

PRÖLL: Der Schalter hat sich im Rettungshubschrauber umgelegt. Als ich gemerkt habe, dass es eng wird. Es ging um Leben und Tod. Da war für mich klar, dass ich nicht so weitermachen kann.

Es heißt, Sie fühlten Todesangst.

PRÖLL: Ich hatte echte Beklemmungsängste. Mir wurde klar: Ich muss mein Leben ändern. Ich hätte nicht mit angezogener Handbremse Politik machen können. Das hätte ich nach dem Lungeninfarkt aber tun müssen.

Welche Einschränkungen haben Ihnen die Ärzte auferlegt?

PRÖLL: Ich darf bis Jahresende kein Flugzeug betreten. Ich muss bis ans Lebensende blutverdünnende Medikamente nehmen, ein dritter Infarkt wäre das Aus.

War Ihr Rücktritt nicht auch eine Folge der schwierigen Verhältnisse in der eigenen Partei und in der Koalition?

PRÖLL: Ich war in einem Mühlrad der extremen politischen Auseinandersetzungen in der Koalition und einer schwierigen Situation in der Partei. Keine Frage. Aber ein Parteiobmann muss damit leben, dass es Leute gibt, die klagen, die regionale Interessen und persönliche Karriereplanung in den Vordergrund stellen.

War es rückblickend ein Fehler, Vizekanzler, Finanzminister und Parteichef gewesen zu sein?

PRÖLL: Das glaube ich nicht. Man darf nicht vergessen, mein erstes Jahr als Vizekanzler war ein Höhenflug, weil ich Finanzminister war. Andere Themen haben mehr an mir genagt. Zum Beispiel der Fall Strasser.

Im ersten Jahr lief es gut für Sie, sie waren der "heimliche Kanzler". Wann ist der Faden gerissen?

PRÖLL: Als der Koalitionspartner nicht bereit war, einen mutigen Sanierungskurs zu gehen. Das war die große Auseinandersetzung 2010 - und die ging für beide nicht gut aus.

Der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer sagt, Sie hätten sich in Geiselhaft der eigenen Partei befunden.

PRÖLL: Ich sehe die Geiselnehmer nicht.

Auch nicht in St. Pölten?

PRÖLL: Nein.

Was können Sie der Steigerung "Freund, Feind, Parteifreund, Onkel" abgewinnen, die in der ÖVP kursiert?

PRÖLL: Nichts.

Wie schaut die Parteienlandschaft in 10, 15 Jahren aus?

PRÖLL: Ich glaube, dass politische Gruppierungen, zugespitzt auf charismatische Persönlichkeiten und ohne Strukturen, flexibler sind, größere Potenziale haben werden als etablierte Parteien. Wir werden daher eine massive Veränderung der Parteienlandschaft miterleben.

Also das Ende der Volksparteien?

PRÖLL: Nein. Wir werden vielmehr Parteien sehen, die wie Kometen aufsteigen und dann schnell wieder verschwinden werden.

Werden Sie noch einmal in eine politische Funktion zurückkehren?

PRÖLL: Nein. Der Abschied ist endgültig. Ich möchte bald eine neue faszinierende Aufgabe in der Wirtschaft übernehmen. Ich habe Landwirtschaft studiert, habe mich lange auch beruflich mit der Lebensmittelbranche auseinandergesetzt, und ich will dort, wo ich von meiner Ausbildung herkomme, wieder einsteigen. Damit sende ich auch eine Botschaft an die Jungen: Geht in die Politik, der Weg zurück in die Wirtschaft ist möglich!

Ist die Politik "feig" und "dumm"?

PRÖLL: Jeder, der wie Andreas Treichl Kritik übt, ist eingeladen, es in der Politik selbst zu versuchen - das ist Demokratie.

Bekennen Sie rückblickend Fehler ein?

PRÖLL: Ohne Zweifel sind Fehler passiert. . .

. . . die Nominierung Ernst Strassers zum EU-Spitzenkandidaten?

PRÖLL: Von Strasser bin ich sehr enttäuscht. Aber bei der Nominierung konnte sein späteres Verhalten nicht erahnt werden.

Die Budgetverschiebung 2010?

PRÖLL: Ökonomisch war sie richtig, politisch war sie zu Recht diskussionswürdig.

Die Bestellung von Bandion-Ortner zur Justizministerin?

PRÖLL: In Personalentscheidungen ist man am meisten angreifbar. Man kann in niemanden hineinsehen. Claudia Bandion-Ortner hat ihre Arbeit ordentlich erledigt, wie man mit ihr umgegangen ist, auch vonseiten des Koalitionspartners, ist zu kritisieren.

Sind Sie von Bundeskanzler Werner Faymann enttäuscht?

PRÖLL: Enttäuscht ist das falsche Wort. Ich war eher überrascht, dass er so wenig Gestaltungswillen zeigt.

Was genießen Sie, was Sie Ihnen als Politiker verwehrt blieb?

PRÖLL: Ich bin nicht mehr fremdbestimmt. Ich kann den Tageablauf wieder selbst bestimmen. Das Tempo raus zu nehmen aus seinem Leben, erlebe ich als große Bereicherung.

Worauf freuen Sie sich?

PRÖLL: Zunächst freue ich mich auf eine ordentliche Hofübergabe. Das Schicksal liegt jetzt in den Händen von Michael Spindelegger. Ich bin überzeugt, dass er die ÖVP zur Nummer eins machen kann. Was mich betrifft, werde ich mir noch ein wenig Auszeit gönnen und im Sommer eine berufliche Entscheidung treffen. Daneben werde ich meinen Weinkeller in Radlbrunn herrichten und mehr Zeit mit meiner Frau und den Kindern verbringen. Ich steige wieder öfter aufs Rad, bis Puls 120 darf ich. Und natürlich freue ich mich auf die Jagd.

Was jagen Sie?

PRÖLL: Den Maibock.