S ie sind am Freitag 70 geworden. Beschreiben Sie uns Ihren Gemütszustand?

ERHARD BUSEK: Er hat sich nicht geändert. Ich halte solche Geburtstage nur für eine statistische Feststellung. Natürlich: Man hat Einbrüche im Leben. Dramatisch war sicher das damalige Ausscheiden aus der Politik.

Das war im Frühjahr 1995, die Ablöse als Parteiobmann: Sind die Wunden vernarbt?

BUSEK: Aber ja. Damals war ich natürlich verbittert. Ich konnte überhaupt nicht begreifen, warum kein Mensch in der Partei und in der Politik irgendeine Art Verwendung für mich gehabt hat. Heute bin ich froh darüber. Es hat mir eine neue Befindlichkeit erschlossen, die ich genieße. Es erneuert die Zugänge im Gehirn, man gewinnt Souveränität zurück und neue Freundschaften hinzu, mehr als früher.

Die Freundschaft zu Wolfgang Schüssel ist damals zerbrochen. Hier war die Zeit bis heute keine heilende Kraft. Warum?

BUSEK: Seine Wesensveränderung kann ich mir bis heute nicht erklären. Wir waren eng befreundet. Der Wolfgang, den ich kannte, war ein sensitiver Mensch, das Cello, die Karikaturen, die Offenheit. Die Politik hat ihn verändert, er hat sich abgeschlossen, so sehr, dass man ihn gar nicht mehr erreicht. Das ist schmerzhaft.

Sie waren Parteichef, Vizekanzler, Minister. Die Kanzlerschaft war Ihnen nicht gegönnt. Verspüren Sie einen Rest von Bitternis?

BUSEK: Nein. Mein Eintritt in das Amt des Vizekanzlers war stark bestimmt vom Interesse, in die EU zu kommen und damit die Rolle Österreichs neu bestimmen zu können. Was das Land später versäumt hat. Aber der Eintritt selbst, das war eine qualitative Veränderung für das Land.

Wie nehmen Sie die Regierung von außen wahr?

BUSEK: Sie steuert sehenden Auges auf eine Kanzlerschaft Straches zu. Wobei sehenden Auges vermutlich falsch ist. Die, die Verantwortung tragen, sind restlos zufrieden mit sich und der Lage. Entweder liegt hier eine aktive Selbsttäuschung vor oder ein beängstigender Wirklichkeitsverlust. Es sind alle eigentlich sehr gemütlich unterwegs.

Selten zuvor war der Graben, der die Bürger und die Politik trennt, so abgrundtief. Was heißt das für die Demokratie?

BUSEK: Dass wir langsam eine Demokratie bekommen ohne Demokraten. Der Bürger zieht aus dieser Art von Politik aus und die Parteien, die Regierungsparteien, verlieren ihr Publikum. Die Volksparteien sind keine mehr. Meine Hoffnung war, dass die politische Landschaft mit den Grünen belebt würde, aber auch die sind irrsinnig rasch eine alte Partei geworden.

Ist die ÖVP noch Ihre Heimat?

BUSEK: Ich war immer ein Anhänger des minus malum: Was ist das kleinere Übel? Ich bin ein altes Versatzstück. In den Parteien verlacht man die Oldies wie mich oder den Androsch oder den Raidl als Muppet Show, die vom Balkon heruntergrantelt. Dabei hat keiner von uns Karriereabsichten. Wir wollen einfach nur eine bessere Politik und leiden an den Zuständen. Ich glaube generell, dass diese Form von Parteien, wie sie beschaffen sind und wie sie kommunizieren, überholt ist. Durch die sozialen Netzwerke wie Twitter oder Facebook gehen wir auf andere Formationen zu. Die Welt ist individualistisch geworden. Wir müssen um jeden Einzelnen ringen, weil die individuelle Entscheidung ja eine Form der Freiheit ist. Die Parteien haben darauf keine Antworten. Sie denken noch immer in Blöcken und ziehen sich verstört auf sich selbst zurück. Wenn ich an meine Wiener Obmannschaft zurückdenke: Wir sind halt noch auf der Straße gestanden und haben diskutiert mit den Leuten. Das sehe ich heute nicht mehr.

Ein Jubilar darf Wünsche äußern. Was wünschen Sie sich in Bezug auf den Zustand der ÖVP?

BUSEK: Ich wünsche mir ein Komitee zur Rettung des Josef Pröll und würde diesem Komitee sofort beitreten. Und zwar mit der dringenden Empfehlung, dass der Obmann aggressive Aktionen setzen sollte, beginnend mit einer echten Neugestaltung der Regierungsmannschaft bis hin zu einem programmatischen Neubeginn. Pröll muss die Auszeit nutzen und mit einem Aplomb zurückkehren. Die Partei ist alternativlos zu ihm. Das ist Prölls Stärke, die er ausspielen muss. Ein Reduzieren auf die Obmann-Frage wäre völliger Unsinn.

Radikale Umgestaltung des schwarzen Regierungsteams: An wen denken Sie?

BUSEK: Ich würde drei Frauen auswechseln. Es sind eh nicht mehr drinnen, obwohl: Die Staatssekretärin habe ich vergessen.

Die Partei leidet nicht nur an einer personellen Krise, sie leidet auch an einer inhaltlichen Orientierungslosigkeit. Muss die ÖVP nicht ihr Navigationssystem radikal erneuern?

BUSEK: Ich habe zum Bildungs-volksbegehren eine Anfrage an die Partei gestellt, was denn die Linie der Partei sei, an den Parteichef, den Generalsekretär, an die Ministerin. Ich habe von niemandem eine Antwort erhalten. Vielleicht, weil es keine gibt. Keine der beiden Regierungsparteien hat einen Kompass. Bei der ÖVP ist das Vakuum zurzeit nur schmerzhafter sichtbar. Beide Parteien sind nicht positioniert. Es gibt keine Fundamente. Daher gibt es auch keine Konfliktkultur. Sie kommen ja nie drauf, worum es eigentlich geht. Die permanenten Positionswechsel, hüben wie drüben, sind ein Beleg dafür. Fragen Sie in der SPÖ jemanden, was sozialistisch heute heißt? Da kriegen Sie Floskeln, aber keine Antwort. So ähnlich ist das bei der ÖVP auch. Fragen Sie, was christlich-sozial heute heißt. Zur Entlastung muss man sagen, dass auch außerhalb der Parteien grundsätzliche Orientierungen im Schwinden sind, das sieht man auch an meiner Mutter Kirche. Auch hier verschwimmt das Grundsätzliche, die Substanz, die Essenz. Und dort, wo sie noch da ist, wird sie unzeitgemäß oder unverständlich kommuniziert.

Beide, Kirche wie Politik, stecken in einer Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitskrise. Wie können sie Ansehen und Autorität zurückgewinnen?

BUSEK: Beide leiden an einem Verlust an Sprache. Bei der Kirche kommt hinzu, dass sie sich selber leidtut, was ihr alles widerfährt; statt dass sie gegensteuert und sagt, bitte, wir können außer internen Verwerfungen auch noch was anderes anbieten, das Evangelium, eine spannende Botschaft, die es gilt, heutig zu machen. Die Autorität kann zurückgewonnen werden, wenn die Kirche die Sprache zurückgewinnt, die das Herz berührt.

Sie sind Kuratoriumsmitglied der Initiative "A soul for Europe". Wo ist sie, die europäische Seele?

BUSEK: Die europäische Einigung ist ein Produkt aus Krisen. Das ist die einzige Hoffnung, was ihren desolaten Zustand betrifft. Europa ist als globale Instanz nicht handlungsfähig. Das Nationalstaatliche hat sich noch stärker aufgebläht und glaubt, die Herausforderungen selbst zu bewältigen. Lachhaft. Es gibt keine europäische Öffentlichkeit und keine europäische Regierung, die wir aber bräuchten. Die nationalen Regierungen verhindern sie, aus Angst vor Machtverlust. Daher entsenden sie die Schwächsten nach Brüssel. Culpa in eligendo, bis hinauf in die höchsten Ämter. Auch der Fall Strasser ist ein Auswahlfehler. Alle haben ihn gekannt. Bei aller Liebe zu Karas: Die 110.000 Vorzugsstimmen hat er bekommen wegen dem Strasser, das war ein Anti-Votum.

Während Sie sprechen, beantworten Sie auf Ihrem Handy mit großer Fertigkeit Gratulations-mails. Hat Ihnen die Parteiführung zu Ihrem Siebziger gratuliert?

BUSEK: Ja, der Generalsekretär hat mir gratuliert. Das ist jene Pflichterfüllung, die das Büro eines Generalsekretärs exekutiert. Den kargsten Glückwunsch hab ich vom Werner Faymann erhalten, einen Zweizeiler. (lacht)