Die Politik in Deutschland hat ihre Richtung verloren. Der Rücktritt des lange beliebten Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen seiner Plagiatsaffäre ist nur ein Symptom. Der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Vize Guido Westerwelle (FDP) scheint nichts mehr zu gelingen. Bei Umfragen hat sie keine Mehrheit mehr, sieben Prozentpunkte liegt sie hinter Rot-Grün. Der nächste Schlag wird am Sonntag erwartet, wenn in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Länderparlamente gewählt werden. Auch wenn es formal nur um zwei Länder geht: Die Wahlen könnten zur Zerreißprobe für die Koalition werden. Die Wähler sind verunsichert. Euro-Rettung? Was tatsächlich auf die Steuerzahler zukommen könnte, versteht kaum jemand.

Schlingerkurs

Libyen? Die Bundesregierung ist gegen Muammar al-Gaddafi, an Militäraktionen gegen den Diktator will sie aber nicht teilnehmen, enthält sich sogar bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat. Ein Schlingerkurs, der die Verbündeten in der Nato und die Wähler gleichermaßen irritiert.

Selbst bei der Atomkraft sind die Feindbilder nicht mehr so klar wie noch im vergangenen Jahr, als Union und FDP den Plan zum Atomausstieg, den SPD und Grüne im Jahr 2000 durchgesetzt hatten, kippten und eine großzügige Verlängerung der Laufzeiten von AKW durchsetzten. Jetzt haben Merkel und Westerwelle diese Entscheidung für drei Monate ausgesetzt und die sieben ältesten Atommeiler vom Netz nehmen lassen. Schließlich ist eine Mehrheit der Deutschen nach der Katastrophe im japanischen Fukushima für einen schnellen Ausstieg. Spricht das für Verantwortung oder nur für ein Wahlkampfmanöver? Die Opposition erhebt diesen Vorwurf gegen die Kanzlerin, die Wähler glauben das auch.

Das ganze Ausmaß der Verunsicherung wird in der Provinz am deutlichsten. Seit 1953 kommt in Baden-Württemberg der Ministerpräsident aus der CDU. An die Allmacht der Konservativen hat sich hier jeder gewöhnt, ihr wird die große Wirtschaftsstärke des "Ländles" zugutegehalten. Die SPD hat über Jahrzehnte ein Talent nach dem anderen verbrannt. Eine echte Chance hatte sie nie. Am Sonntag könnte sich das ändern. Ausgerechnet mit Nils Schmid, dem farblosesten SPD-Spitzenkandidaten seit Langem. Schmid ist zurückhaltend und eher technokratisch. Er profitiert vor allem davon, dass das Wahlvolk dem CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus nicht mehr recht vertraut. Dessen Koalitionspartner FDP könnte sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Was wiederum Westerwelle das Amt des Parteichefs kosten und selbst den Zusammenhalt in der Bundesregierung gefährden könnte.

In Stuttgart, der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, ist der Begriff "Wutbürger" geprägt worden, der mittlerweile im gesamten Land aufgegriffen wird. Immer noch gehen regelmäßig Tausende auf die Straße, um gegen das milliardenschwere Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 zu demonstrieren. Die Regierung ist eindeutig für den Bau.

Grüne Chance

Die SPD ist im Prinzip dafür, will aber einen Volksentscheid. Die Grünen sind dagegen, haben dadurch sogar gewisse Chancen, das erste Mal in ihrer Geschichte einen Ministerpräsidenten in einem Bundesland zu stellen - wenn es für Rot-Grün reicht und Grün mehr Stimmen erhält. Durch die Atomdebatte haben SPD und Grüne weiteren Auftrieb erhalten. Mappus hatte sich im vergangenen Jahr mit einer kompromisslosen Pro-Atom-Linie in der CDU profiliert - und musste nun zwei alte Meiler vom Netz nehmen. Demonstranten feiern schon den "Mappschied".

Dagegen ist die Position des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) komfortabel. Die Macht wird er aller Voraussicht nach nicht verlieren, wohl aber viele Stimmen und die Alleinherrschaft. Er wird seine Partei am Sonntag daran erinnern, dass sie vor allem von der Schwäche der Bundesregierung profitiert, aber kaum einen eigenen Vertrauensvorsprung bei den Wählern erkämpft hat.