Die Bombenangriffe des Westens auf Libyen treffen Moskaus Machtapparat unerwartet tief ins Mark: Präsident Dmitri Medwedew distanziert sich in einmaliger Weise von Premier Wladimir Putin, der den Libyen-Einsatz mit einem "Kreuzzug" vergleicht. Und er wirft Putin sogar vor, die ohnehin gefährliche Situation in dem nordafrikanischen Land mit seiner Kritik zu verschlimmern.

Damit maßregelt Medwedew zwar nicht zum ersten Mal seinen politischen Ziehvater. Einen Streit dieser Schärfe hat das politische Moskau vor der Präsidentenwahl 2012 aber so noch nicht erlebt, wie Zeitungen am Dienstag schreiben.

Kommentatoren sprechen von einem ersten handfesten Konflikt des Machttandems Medwedew/Putin, das sonst unisono betont, alles laufe doch reibungslos. Die Zeitung "Wedomosti" bezeichnet Putin auf ihrer Titelseite am Tag danach sogar als "Gegner Medwedews".

"Fehler"

Der Regierungschef lässt nun zwar klarstellen, dass er nur "mit seiner persönlichen Meinung" den Einsatz gegen Libyen als unzulässige Einmischung in einen inneren Konflikt eines souveränen Staates verurteilt habe. Dass sich der Politprofi Putin aber auf das für den Präsidenten reservierte Feld der Außenpolitik begibt, hält niemand in Moskau für einen Zufall.

Putin habe einen "Fehler" gemacht, weil er denjenigen Recht gebe, die seit langem ein Zerwürfnis zwischen ihm und Medwedew sehen, meint der Moskauer Politologe Gleb Pawlowski. Der Regierungschef habe praktisch das Schlachtfeld freigegeben. "Dieses Signal ist tatsächlich ungewöhnlich", sagt Pawlowski der Agentur Interfax.

Auch andere Experten sehen in solch offenen Kontroversen in einem Land wie Russland ein Spiel mit dem Feuer. Ein echter Konflikt zwischen beiden Politikern würde Populisten und Radikalen in die Hände spielen und das Land destabilisieren, warnt Pawlowski.

Putin wolle in alter Moskauer Tradition mit Konfrontation zum Westen seine Anhänger mobilisieren, sagt der kremltreue Experte Stanislaw Belkowski der Zeitung "Kommersant". Medwedew hingegen zeige, dass er mit seiner Unterstützung der Politik im Sicherheitsrat den Westen als Partner betrachte. Viele Beobachter gehen davon aus, dass ein Präsident Putin die UN-Resolution gegen Libyen durch ein Veto verhindert hätte.

Die Entschließung öffne jedweden Eroberungszügen für Öl und Gas Tür und Tor, sekundieren Moskaus regierungstreue Blätter. Das Boulevardblatt "Moskowski Komsomolez" nimmt Libyen sogar als drohendes Beispiel dafür, wie es dem an Bodenschätzen reichen Russland vielleicht ergehen könnte. Dass es bei den westlichen Kampfeinsätzen wie vorher im Irak oder in Afghanistan dem Westen nur um Petrodollars und nicht um den Schutz der Bevölkerung vor blutigen Diktatoren gehe, bedient ebenfalls russische Urängste.

Wohl auch deshalb sichert Putin bei seinem Besuch in einer Raketenfabrik in Wotkinsk den besorgten Arbeitern zu, dass Russlands Kampfbereitschaft mit höheren Rüstungsausgaben gestärkt werde. Dass Moskau dem Westen die Stirn biete und sich schützen könne, hören viele Russen ein Jahr vor der Präsidentenwahl weiter gerne. Und weil Putin bisher als der Stärkere in dem Tandem gilt, dürfte auch die Machtprobe mit Medwedew nicht ausgestanden sein.

Die von Putins Partei Geeintes Russland geführte Staatsduma will an diesem Mittwoch die westlichen Angriffe gegen Libyen verurteilen - und damit wohl auch ein Signal an autoritäre Staaten senden. Die stören sich seit längerem daran, dass Russland unter Medwedew etwa seine Blockadehaltung bei Streitfragen im Weltsicherheitsrat zugunsten einer prowestlichen Politik aufgegeben habe.

Vor allem aber der russischen Rüstungslobby machen die zunehmenden Einbrüche bei Waffenverkäufen an Staaten wie Libyen oder den Iran Sorgen. Der staatliche Rüstungskonzern Rosoboronexport schätzt alleine die Verluste in Libyen auf umgerechnet fast drei Milliarden Euro. Russlands Öl-Milliardäre allerdings sehen dem preistreibenden Konflikt in Libyen weiter gelassen zu.

Putin ruder zurück

Der russische Regierungschef Wladimir Putin ist im Streit mit Präsident Dmitri Medwedew über die Bewertung der westlichen Luftangriffe auf Libyen überraschend zurückgerudert. "Bei uns führt der Präsident der Russischen Föderation die Außenpolitik - und hier kann es keine Zweiteilung geben", sagte Putin am Dienstag in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Er reagierte damit nach Angaben der Agentur Interfax auf die Frage eines Journalisten, ob es eine Spaltung des Machttandems mit Medwedew gebe.