Israel ist normalerweise ein Land, in dem Politiker zu jedem Thema eine Meinung haben und sie auch gern kundtun. Doch seit mehreren Tagen hüllt Israels Führungsriege sich in einer Frage in untypische Stille. Niemand ist bereit, zu den Unruhen in Ägypten einen offiziellen Kommentar abzugeben. Nicht etwa, weil die Krawalle im südlichen Nachbarland hier niemand interessierten, ganz im Gegenteil: Die Nachrichtensendungen, die sich sonst einer intensiven Nabelschau hingeben, berichten ununterbrochen über die Ereignisse in der arabischen Welt.

Begeistert kommentieren Medien den Mut der Demonstranten in den Straßen Kairos und vermitteln den Eindruck, als ergötzten sie sich nicht nur am historischen Spektakel, sondern als sei es ihnen tatsächlich an Demokratie gelegen. Doch das offizielle Israel legt sich einen Maulkorb an: "Wir verfolgen aufmerksam die Ereignisse, mischen uns aber nicht in die inneren Angelegenheiten eines Nachbarstaates ein", lautet die knappe Antwort des Außenministeriums.

Da ist es ein glücklicher Zufall, dass Benjamin Ben Eliezer vergangene Woche seinen Ministerposten niedergelegt hat und jetzt als Oppositionär frei seine Meinung sagen kann: "Ich halte eine Revolution in Ägypten für unmöglich, die Lage dort wird sich beruhigen", sagt Ben Eliezer.

Der im Irak geborene Ex-Verteidigungsminister gilt als ausgewiesener Experte für israelisch-arabische Beziehungen und als Freund des ägyptischen Geheimdienstchefs Omar Suleiman. Ben Eliezers Aussage deckt sich mit der Einschätzung israelischer Geheimdienste und Nahostexperten, die auf die Stärke von Ägyptens Armee setzen. Eliezer erläuterte Israels Haltung zu den Protesten: "Wir können ohnehin nichts tun, außer Mubarak unserer Unterstützung zu versichern und darauf zu hoffen, dass die Geschehnisse in Ruhe an uns vorüberziehen", schließlich sei "Ägypten Israels wichtigster Verbündeter in der Region".

Ägypten war der erste arabische Staat, der mit Israel 1979 Frieden schloss, doch das Verhältnis ist heikel. Gute Beziehungen sind auf Regierungskader beschränkt. Enge Verbindungen zwischen den Zivilgesellschaften werden von Kairo unterbunden.

Es ist die Muslimbruderschaft, die Israel zu Mubarak halten lässt. Sie gilt als populärste politische Bewegung in Ägypten. Und sie lässt keinen Zweifel daran, wie sie zum Friedensvertrag steht: Sie will ihn sofort aufkündigen. "Demokratie ist etwas Wunderschönes. Trotzdem ist es für Israel, die USA und Europa von höchstem Interesse, dass Mubarak an der Macht bleibt", sagt deswegen Eli Schaked, Israels Ex-Botschafter in Kairo.

Unkalkulierbare Folgen

"Sollte sich in Ägypten ein Regimewechsel ereignen, würden die Muslimbrüder dort das Ruder übernehmen, und das hätte für die Region unkalkulierbare Folgen", sagt Schaked. Mit Sorge nimmt man in Jerusalem zur Kenntnis, dass Ägyptens Armee auch nach 30 Jahren Frieden hauptsächlich für einen Krieg gegen Israel rüstet und trainiert. Eine Annullierung des Friedensvertrags würde für Israel eine neue Front mit der elftgrößten Armee der Welt eröffnen, die mit modernsten amerikanischen Waffen gerüstet ist. Doch noch mehr fürchtet Israel einen Schulterschluss zwischen Islamisten in Kairo und der Hamas in Gaza, die sich selbst als Tochterorganisation der Muslimbruderschaft versteht.

Schaked hält die Forderungen aus dem Westen nach mehr Demokratie für einen fatalen Fehler: "Es ist eine Illusion zu glauben, der Diktator Mubarak könne von einer Demokratie abgelöst werden. Ägypten ist noch nicht demokratiefähig." Die Muslimbrüder seien die einzige reelle Alternative, mit verheerenden Konsequenzen: "Sie werden ihre anti-westliche Haltung nicht ändern, wenn sie an die Macht kommen."

So bleibe letztlich nur die Wahl zwischen einer pro-westlichen oder feindlichen Diktatur: "Es ist unser Interesse, dass jemand aus der Umgebung Mubaraks sein Erbe antritt, um jeden Preis." Dabei könne man Blutvergießen nicht ausschließen: "Es wäre nicht das erste Mal, dass Unruhen in Ägypten brutal niedergeschmettert würden", sagt Schaked.

Auch Washington steckt in einem Dilemma. Ein Sturz des Regimes in Kairo kann, vielmehr als in Tunis, die Sicherheitsarchitektur in der Region ins Wanken bringen. Auf dem Spiel steht die Rolle der USA als Ordnungsmacht im Nahen Osten. Eine Demokratisierung der Region würde auf einen Machtverlust der USA hinauslaufen, sagte Shadi Hamid von der Washingtoner Denkfabrik Brookings.