Inzwischen erreichen die Schockwellen der Revolution in Tunesien auch die anderen arabischen Regime. Zum ersten Mal seit dem erzwungenen Rücktritt des sudanesischen Militärmachthabers Dschafar Numeiri 1985 hat ein arabisches Volk aus eigener Kraft seinen Diktator davongejagt. Und so bangen jetzt auch die anderen Langzeit-Potentaten um ihre Macht. In Algier tobten Straßenschlachten, weil viel zu viele junge Leute keine Arbeit finden. Jeden Tag zünden sich Menschen aus Protest gegen ihre miserablen Lebensumstände an - in Marokko, Algerien, Mauretanien und Ägypten. Und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Unruhen auch auf Syrien und Libyen übergreifen. Algerien: Die "Brotrevolte" in Algerien begann zeitgleich mit der erfolgreichen "Jasminrevolution" in Tunesien. Die Machthaber in Algier reagierten schnell und senkten die Einfuhrzölle und Steuern auf die teuer gewordenen Grundlebensmittel. Das hat zu einer wohl vorübergehenden Beruhigung der Lage beigetragen. Angesichts extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit und massiver sozialer Ungerechtigkeit muss aber mit neuen Demonstrationen gerechnet werden. Das Regime hat mit der Niederschlagung von Aufständen Erfahrung. Nach dem Sieg der oppositionellen Heilsfront bei freien Wahlen 1991 übernahm das Militär die Macht. Bei dem folgenden Bürgerkrieg kamen mehr als 80 000 Menschen ums Leben.

Marokko: Die Wirtschaftslage in Marokko ist noch schlechter als in Algerien. Immer wieder aufflackernde Demonstrationen richten sich aber gegen die Regierung, die als Sündenbock für die verfehlte Reformpolitik herhalten muss und ausgetauscht werden kann. Die Autorität von König Mohammed VI. wird noch nicht infrage gestellt.

Libyen: Revolutionsführer Muammar el Gaddafi hat als einziger arabischer Staatschef den Sturz von Ben Ali bedauert und die Revolte in Tunesien öffentlich kritisiert. Größere Demonstrationen wurden aus dem reichen Ölstaat bislang nicht gemeldet. Gaddafi hat einen offenbar gut funktionierenden Repressionsapparat aufgebaut. Tausende von Oppositionellen sitzen in den Gefängnissen. Da ausländische Journalisten sich in dem Land nicht frei bewegen können, gibt es nur wenige Informationen über die Lage. Spontane Revolten können nicht ausgeschlossen werden. Mit Hochspannung verfolgen drei Millionen Libyer die Entwicklung in Ägypten.

Syrien: Der Staatschef von Syrien, Baschar el Assad, hat nach dem Beginn der Facebook-Revolte in Ägypten die Internetzensur weiter verschärft. Als Angehöriger der alawitischen Minderheit muss er Unmutsäußerungen der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit fürchten. Sie wird von der Muslimbruderschaft vertreten, die, wie in Ägypten, relativ gut organisiert ist, sich politisch aber zurückhält, was sich nach einem Regierungswechsel in Kairo aber ändern könnte. Lokale Revolten in dem Land werden meist im Keim erstickt. Der Sicherheitsapparat geht mit unglaublicher Brutalität vor, kann mit dem des gestürzten Saddam Hussein verglichen werden.

Jordanien: Im haschemitischen Königreich Jordanien wird seit Wochen gegen hohe Lebensmittel, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit demonstriert. Die Proteste richten sich gegen die Regierung, die König Abdullah in Krisenzeiten regelmäßig absetzt. Der jordanische Monarch stützt seine Herrschaft auf das Militär und einen sehr effektiven Geheimdienst. Seine Macht wurde in den Vorwochen allerdings von der jordanischen Muslimbruderschaft infrage gestellt. Schwerwiegende politische Unruhen könnte auch die palästinensische Bevölkerungsmehrheit auslösen. Sie erwartet eine harte Gangart gegenüber Israel, die Abdullah, dessen Vater Hussein einen Friedensvertrag mit Israel abgeschlossen hat, aber ablehnt.

Jemen: Das ärmste arabische Land, Jemen, gilt als erster Kandidat für eine "tunesische Lösung". Seit Wochen wird im Jemen für eine Ablösung von Staatschef Ali Abdullah Saleh demonstriert. Die Proteste verliefen am Südzipfel der arabischen Halbinsel bislang meist friedlich. Allerdings blicken die Jemeniten gebannt nach Ägypten. Es besteht eine Nachahmungsgefahr; vor allem dann, wenn es zu einer weiteren Eskalation am Nil kommt. Wie in Ägypten dürften sich die USA hinter den Kulissen um einen friedlichen Machtwechsel in Sanaa bemühen. Washington befürchtet, seine wichtigsten Bündnispartner im Nahen Osten zu verlieren. Als "Übergangslösung" könnten pro-westliche Militärs eingesetzt werden.

Bahrain: Lediglich in dem kleinen Königreich Bahrain scheint der Thron von König Isa al Khalifa gefährdet. Der Monarch ist Sunnit. Die Bevölkerungsmehrheit sind die Schiiten, die nach dem Urteil von Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten unterdrückt werden. Regelmäßig kommt es zu Revolten, über die kaum berichtet wird.

Kuwait, Saudi-Arabien: Auch in Kuwait und Saudi-Arabien gab es kleinere Demonstrationen, auf die die Machthaber mit groß-zügigen finanziellen Zuwendungen und anderen Versprechen reagierten. Harsche Kritik musste der saudische König Abdullah nach der Aufnahme des gestürzten tunesischen Diktators Ben Ali einstecken. Der Monarch wird bald 90; seine potenziellen Nachfolger sind nur wenige Jahre jünger und nicht bei bester Gesundheit.