Nicht nur in der arabischen Welt ist die Aufregung groß: In Kairo finden die größten Demonstrationen seit dreißig Jahren statt. Der Unmut über Korruption, Armut und Unterdrückung des Polizeistaates ist so groß, dass im ganzen Land Menschen ungeachtet der Gefahren auf die Straßen gehen und ihre Rechte einfordern. Nach der Revolution in Tunesien fiebern die Welt einem "arabischen Frühling" entgegen. Nach Ende des europäischen Kolonialismus und sechs Jahrzehnten autokratischer Misswirtschaft hofft man auf eine Demokratisierungswelle, die - wie vor zwanzig Jahren Osteuropa - jetzt den Nahen Osten grundlegend verändern soll.

Das wäre zwar wünschenswert, ist aber leider eher realitätsfremd. Auf den Fernsehschirmen mögen die Proteste gut und groß wirken: Für ein Land mit über 80 Million Einwohnern sind rund 30.000 Demonstranten nicht viel. Kairoer berichteten, dass man in etlichen Stadtvierteln nichts von den Unruhen mitbekommen hat. Schon gestern Nachmittag wirkte alles wieder normal. Das sollte nicht verwundern: Die Opposition organisierte sich mit Facebook, Twitter und Handy. Die wurden nicht nur schnell von der Regierung gesperrt, sondern erreicht auch kaum die breite Bevölkerung, die bitterarm und ungebildet ist, und mit solchen Methoden nicht rekrutiert werden kann.

Der elfgrößten Armee der Welt dürften die wenigen Demonstranten keine Angst eingeflößt haben, auch nicht den rund 1,4 Million Mann der inneren Sicherheitskräfte. Sie sind gewöhnt, massiv Gewalt anzuwenden, um Widerstand zu brechen, und werden das im Gegensatz zu Tunesien - wenn notwendig - auch tun. Bisher taten sie es aus ihrer Sicht richtig: Nicht zu viel Gewalt anwenden, die die Leute nur noch mehr gegen das Regime aufbringen könnte.

Die Opposition hat keine geeinte Führung, keine Gallionsfigur, die als Alternative auftreten kann. Die einzige Organisation, die tatsächlich Massen mobilisieren könnte, sind die Muslimbrüder, die die Proteste bisher von den Seitenlinien betrachten. Es ist daher wahrscheinlicher, dass die Proteste sich im ägyptischen Wüstensand verlaufen, als dass sie zu einem Regimewechsel führen.

Doch auch den Pessimisten sei Vorsicht geboten: Revolutionen sind unvorhersehbar, und 2011 wird ein entscheidendes Jahr. Just im September sollen Präsidentenwahlen stattfinden, und das Erbe des alten, kranken Hosni Mubarak steht nicht fest. Dann hätte die Opposition eine Option, die Schwäche einer neuen Führung für sich zu nutzen.

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