Herr Bundespräsident, was in dieser Republik ist für Sie in der Stein gemeißelt?

HEINZ FISCHER: Die Grundprinzipien unseres Staatswesens: die Demokratie, die Republik, der Rechtsstaat, der Bundesstaat.

Und die Neutralität?

FISCHER: Eine Änderung der Neutralität würde eine Verfassungsänderung erfordern, wäre aber keine Gesamtänderung der Bundesverfassung.

Österreich dürfte also von der Neutralität abgehen?

FISCHER: Ich bin ein absolut überzeugter, jahrzehntelanger Anhänger der Neutralität. Aber ich kann trotzdem nicht sagen, das darf vom Verfassungsgesetzgeber nicht verändert werden.

Das heißt, es bräuchte keine Volksabstimmung zur Abschaffung derselben?

FISCHER: Sie wäre nicht zwingend, müsste aber durchgeführt werden, wenn dies ein Drittel der Abgeordneten verlangt. So wie die Einführung der Neutralität keiner Volksabstimmung unterworfen wurde, gilt dies auch für eine Abschaffung. Aus politischen Gründen plädiere ich aber dafür, dass ein Abgehen nicht ohne Volksabstimmung gemacht wird.

Ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt?

FISCHER: Das hat der Herr Verteidigungsminister gesagt.

Für Sie?

FISCHER: Ich habe eine andere Sprache.

Sie sagen, man solle das Pferd nicht von hinten aufzäumen und sich vor der Heeresdebatte auf eine Sicherheitsdoktrin einigen. Wie sieht Ihre Vorstellung aus?

FISCHER: Das sagt mir der gesunde Menschenverstand, dass man über das Instrument für die Sicherheitspolitik dann Entscheidungen trifft, wenn die Sicherheitspolitik als solche definiert ist. Mir ist es wichtig, dass die Sicherheitsdoktrin auf einer breiten politischen Basis ruht. Die letzte Verteidigungsdoktrin wurde nur mit der Mehrheit von zwei Parteien, ÖVP und FPÖ, beschlossen. Es gilt, darin die wichtigsten Ziele und Aufgaben festzulegen: die Bedrohungsszenarien, die Landesverteidigung, den Grenzschutz, den Katastrophenschutz, die Katastrophenhilfe, die Auslandseinsätze, die europäische Zusammenarbeit.

Erfüllt das Modell von Verteidigungsminister Norbert Darabos diese Anforderungen?

FISCHER: Der Minister hat sieben Modelle vorgestellt.

Und eines davon favorisiert: Berufsheer plus Miliz.

FISCHER: Ich lasse mich jetzt nicht auf einen Diskurs mit dem Verteidigungsminister ein. Die jüngsten Aussagen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers deuten darauf hin, dass man sich der Wichtigkeit des Konsenses und des Vorgehens in der richtigen Reihenfolge in der Sicherheitspolitik bewusst ist. Wer hetzt uns? Die internationale Lage nicht, das Ausland nicht, der Nationalrat auch nicht. Es gibt also keinen Grund, sich hetzen zu lassen. Niemand hetzt uns.

Darabos argumentiert, ein Berufsheer käme nicht teurer als das jetzige Modell.

FISCHER: Das wird zu prüfen sein, hängt aber natürlich von der Aufgabenstellung ab.

Sollte das Berufsheer am Ende doch eingeführt werden, schlägt Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl vor, alle jungen Männer und Frauen zu einem halben Jahr Sozialdienst zu verpflichten. Was halten Sie von diesem Gedanken?

FISCHER: Ich halte es nicht für gut, wenn zu Ideen, die jemand äußert, andere Politiker reflexartig Ja oder Nein sagen. Am allerwenigsten darf das der Bundespräsident tun. Wir haben einen Zivildienst, wo sinnvolle Arbeit geleistet wird und den ich für eine sehr gute Einrichtung halte. Durch die Einführung eines Berufsheers könnte der Zivildienst in der Luft hängen. Ich begrüße eine sachliche Debatte darüber.

Hätte es zu Ihrer Zeit diese Möglichkeit gegeben, hätten sie dann überlegt Zivildienst zu machen?

FISCHER: Ich weiß es nicht. Ich war der Vorsitzende des Ausschusses im Parlament, der den Zivildienst bearbeitet hat. Ich war überzeugt, dass die alte Gewissensüberprüfung große Schwächen hatte. Mein Sohn, der mir in vielen Dingen ähnlich ist, hat dennoch den Wehrdienst gemacht.

Wenn sich die politischen Akteure am Ende darauf einigen, dass alles so bleibt, wie es ist - dann wären Sie wohl zufrieden.

FISCHER: Nein. Wenn die Wehrpflicht bleibt, sind dennoch weitere Reformen im Bundesheer notwendig. Wir müssen daran arbeiten, dass die Zeit der Wehrpflicht sinnvoller genutzt wird.

Sie fordern "Sauberkeit im öffentlichen Leben" ein, denn ein "Dauerzustand der Unklarheit wirft Schatten auf unseren Rechtsstaat". Nun sagt die Staatsanwaltschaft Wien, in der Causa Buwog wird es heuer wohl keine Anklage geben. Befürchten Sie, dass der Unmut in der Bevölkerung über die Justiz weiter wachsen wird?

FISCHER: Es darf kein Schatten auf unseren Rechtsstaat fallen! Wenn der Libro-Prozess jetzt nach zehn Jahren stattfindet, kann kein vernünftiger Mensch in Österreich sagen, das sei in Ordnung. Der Rechtsstaat wird strapaziert. Ich bekomme viele Briefe, viele Menschen machen sich Sorgen.

Was ist hier faul?

FISCHER: Ich kann es weder an Personen noch an Institutionen festmachen. Aufgabe der Justizpolitik ist es nicht nur Recht zu schaffen, sondern auch Recht in vertretbarer Zeit zu schaffen.

Morgen wäre Bruno Kreisky 100 Jahre alt geworden. Sehen Sie einen jungen oder eine junge Kreisky heranreifen?

FISCHER: Bruno Kreisky ist so unverwechselbar wie Leopold Figl, Willy Brandt oder andere große Persönlichkeiten, die in einer anderen Zeit geboren sind, in einer anderen Zeit geprägt wurden. Es wird nie mehr einen Kreisky, einen Figl, aber auch keinen Adenauer oder Brandt geben. Ich behaupte nicht, dass es in den Geburtsjahrgängen nach 1945 keine herausragende Persönlichkeiten gibt. Nur, eine Politikerpersönlichkeit setzt sich aus Person und Biografie zusammen. Man kann die beiden Dinge nicht trennen.

Hätte eine Persönlichkeit nach Art Kreiskys oder Figls heute eine Chance in der Parteienlandschaft?

FISCHER: Es kann einen Menschen mit dem Erfahrungsschatz, den Prägungen und Leitmotiven Kreiskys oder Figls heute nicht geben. Aber ein Mensch, der ähnliche Talente hätte, würde sich auch heute einen Spitzenplatz in der Wirtschaft oder Politik oder Wissenschaft erarbeiten.

Was denken Sie sich, wenn Sie hören, dass sich FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache auf Kreisky beruft?

FISCHER: Dass nicht jeder, der sich auf Kreisky beruft, sich auch den Prinzipien und den Werten von Kreisky verpflichtet fühlt.

Der Euro steckt in einer Krise. Verschärft sich diese, wird die Solidarität der starken Staaten wie Österreich für schwache wie Griechenland nicht überstrapaziert?

FISCHER: Die Einführung des Euro hat die Verteidigungsmöglichkeit gegen Spekulationen verbessert. Wenn der Schilling allein stünde, wäre er verwundbarer und angreifbarer. Es ist das Wesen der Solidarität, dass man nicht von vornherein Grenzen setzt. Sonst würde es sich ja nur um eine Teilsolidarität handeln - ein seltsamer Gedanke.

Das Kabarettistenduo Grissemann/Stermann karikiert Sie in "Willkommen Österreich" als netten, aber entscheidungsschwachen Umstandsmeier, dessen Frau ständig die Augen verdreht. . .

FISCHER: Jetzt machen Sie mich aber neugierig! Ich habe es leider noch nicht gesehen. Aber das habe ich von Kreisky gelernt: Karikaturen sind Ehrenzeichen besonderer Art. Wenn ein Komiker sich veranlasst fühlt, einen auf die Schaufel zu nehmen, ist das eigentlich ein positives Zeichen. Aber falls die meiner Frau etwas "Schiarches" unterstellen, dann kriegen sie es mit mir zu tun!