Hashim Thaci, Kosovo Premierminister und umstrittener Wahlsieger vom vergangenen Sonntag, soll als Kopf der "Drenica-Gruppe" in der Rebellenarmee UCK für den Handel mit den Organen gefangener Serben verantwortlich gewesen sein. Das behauptet jedenfalls der Sonderberichterstatter des Europarats, der Schweizer Staatsanwalt Dick Marty, in einem Bericht für den Europarat, der heute in Paris vorgestellt werden soll.

Die direkte Verantwortung für die Verbrechen oblag laut Marty Thacis Parteifreund Shaip Muja, einem Mitglied des Generalstabs. Der 45-Jährige leitete nach dem Krieg 1999 das Medizinische Bataillon des Kosovo-Schutzkorps, einer Auffangorganisation für die aufgelöste Rebellenarmee. Der in der Öffentlichkeit wenig bekannte Politiker fungierte seit dem Amtsantritt Thacis als Premierminister 2007 als dessen "gesundheitspolitischer Berater" und war zeitweise als Verteidigungsminister im Gespräch. Bei der Wahl kandidierte er für die Thaci-Partei PDK.

In seinem Bericht macht Marty sechs Geheimgefängnisse für aus dem Kosovo verschleppte Serben und Albaner in der benachbarten Republik Albanien aus. Kriminalistische Untersuchungen habe er dort aber nicht ausführen können; seine Erkenntnisse beruhen aus Zeugenaussagen von Überlebenden und Fahrern. Aber viele Zeugen seien aus Angst nicht bereit, auszusagen. Die Verbrechen sollen auch nach dem Ende des Krieges weitergegangen sein; 1999 etwa verschwanden 500 Personen, vor allem Serben. Die Organentnahme habe in Fushe-Kruja stattgefunden, einer Kleinstadt nördlich der albanischen Hauptstadt Tirana. Zu den Köpfen der "Drenica-Gruppe", benannt nach dem zentralen Mittelgebirge des Landes, zählt Marty neben Thaci und Muja auch Verkehrsminister Fatmir.

Spuren nach Albanien

An die Öffentlichkeit drang der Verdacht, UCK-Rebellen hätten mit gewaltsam entnommenen Organen serbischer Häftlinge gehandelt, erstmals in der Biographie von Carla Del Ponte im Jahr 2008. Die frühere Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals berichtete von Ermittlungen aus dem Jahre 2004, die aber mangels operativer Befugnisse ihrer Behörde in Albanien zu keinem Ergebnis geführt hätten. Im Zentrum stand damals ein "gelbes Haus" im Dorf Rripe bei Burrel im Nordosten Albaniens. Die dort lebende Familie K. konnte den Ermittlern die Herkunft von Blutflecken rund um einen Tisch im Haus nicht plausibel erklären. Im November 2008 wurden in Prishtina mehrere Angehörige der privaten Medicus-Klinik wegen des Verdachts auf illegalen Organhandel festgenommen. Zwischen dem Fall in Prishtina und den angeblichen Organentnahmen in Albanien soll laut Marty ein Zusammenhang bestehen.

Der Ermittler spart nicht mit Vorwürfen an die Uno-Mission Unmik, das Haager Tribunal, die internationale Schutztruppe Kfor und die Rechtsstaatsmission Eulex, die seit 2008 im Kosovo arbeitet. Auch die gesamte Kosovo-Politik des Westens steht im Schussfeld des Berichts, der zugleich einen Resolutionsentwurf für den Europarats darstellt: Es sei kurzsichtig gewesen, schreibt Marty, den Schein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren, während man alles habe vermeiden wollen, was das labile Gleichgewicht der Region destabilisieren könne.

Propagandakrieg

Um die Organhandelsaffäre herrscht seit zwei Jahren ein serbisch-kosovarischer Propagandakrieg. Nach dem ersten Bekanntwerden der Vorwürfe 2008 hatte das kosovarische Staatsfernsehen der Öffentlichkeit zwei "serbische Spione" präsentiert, die angeblichen Opfern von illegalem Organhandel 70.000 Euro für eine Falschaussage geboten hätten.

In der Kosovo-Presse ist der Schweizer Ermittler, der schon über die Geheimgefängnisse der CIA in Südosteuropa recherchiert hat, Ziel persönlicher Angriffe, der sich "immer schon als Skeptiker gegen die Unabhängigkeit des Kosovo" zu erkennen gegeben habe.