Nordkorea hat nach dem Beschuss einer südkoreanischen Insel durch seine Streitkräfte mit weiteren Militärschlägen gegen das Nachbarland gedroht. Die oberste Kommandostelle der Volksarmee beschuldigte Seoul, das Feuergefecht vor der Westküste verschuldet zu haben. "Sollte die südkoreanische Marionettengruppe es wagen, auch nur 0,0001 Millimeter in Nordkoreas Hoheitsgewässer vorzudringen, wird die Streitmacht nicht zögern, weiter gnadenlose militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen." Die Seegrenze ist umstritten. Sie wurde nach dem Ende des Koreakrieges 1953 von den UN festgelegt, da es keinen Friedensvertrag gab. Nordkorea hat diese aber nie akzeptiert.

Bei dem Überraschungsangriff auf die Insel Yeonpyeong wurden zwei südkoreanische Soldaten getötet und um die 70 Häuser gerieten in Brand. Die rund 1600 Bewohner der Insel, die nahe der Seegrenze und zwölf Kilometer vor Nordkoreas Küste liegt, flüchteten in Bunker. Südkoreas Armee erwiderte den Angriff und entsandte Kampfflugzeuge nach Yeonpyeong. Die Truppen wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Über nordkoreanische Opfer wurde nichts bekannt.

Südkoreas Kabinett kam danach zur Krisensitzung im unterirdischen Bunker zusammen und warnte vor einer "Eskalation des Zusammenstoßes". Ein Regierungssprecher sagte, dass der Angriff ein Protest gegen das am Montag begonnene südkoreanische Manöver im Gelben Meer sei. "Nordkorea hat sich per Brief über die Übung beschwert", sagte er. Das Außenministerium erklärte, man überlege, den Vorfall vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Der Beschuss reiht sich in eine Serie von militärischen Machtdemonstrationen des isolierten Staates. Erst am Wochenende war bekannt geworden, dass Pjöngjang einer Gruppe US-Atomphysikern eine moderne Anlage zur Urananreicherung vorgeführt hatte, die auch zur Herstellung von Nuklearwaffenmaterial benutzt werden könnte. Sowohl der Beschuss als auch die Präsentation könnten dazu gedacht sein, Nordkoreas Verhandlungsposition zu verbessern und diplomatische Zugeständnisse zu erzwingen.

Der US-Sonderbeauftragte Stephen Bosworth reist diese Woche durch die Region, um mit den anderen Teilnehmern der Sechs-Parteien-Gespräche, Südkorea, China, Japan und Russland, eine Strategie zu finden, wie sich Nordkorea an den Verhandlungstisch zurücklocken ließe.

Handschrift Kim Jong-uns

Möglicherweise steckt hinter dem Angriff auch die Handschrift von Kim Jong-un. Machthaber Kim Jong-il hat seinen Sohn erst kürzlich als Nachfolger präsentiert. Nach Berichten aus Südkorea, die sich auf nordkoreanische Informanten berufen, gibt es in Nordkorea geheime Kritik an der "dynastischen Thronfolge". Möglicherweise gibt es diese Kritik auch im Militär. In dieser Lage könnte es Kim Junior für hilfreich erachten, sich durch aggressives Vorgehen gegen Südkorea Respekt bei den Generälen zu verschaffen.

"Vom nachrichtendienstlichen Gesichtspunkt ist das so etwas wie der schlimmste Albtraum", sagte Victor Cha, Asiendirektor des Nationalen Sicherheitsrats von US-Präsident Barack Obama. "Es ist eine Anlage, die direkt vor unserer Nase war, und die wir trotzdem nicht sehen konnten." Ein Sprecher von Außenministerin Hillary Clinton sagte jedoch, man werde Nordkoreas "schlechtes Benehmen" nicht belohnen. "Die glauben immer wieder, dass sie nur etwas Unverschämtes oder Provokatives machen müssen, um uns zu zwingen, durch Reifen zu springen", sagte er.

Nordkorea dürfte versuchen, sich die neuerliche Stilllegung seines Atomprogramms abhandeln zu lassen, etwa mit umfangreichen Lieferungen von Öl und Lebensmitteln oder einer Aufhebung von Sanktionen. Unklar ist, wie dringend Nordkorea auf Hilfe angewiesen ist. Das Land wurde im Herbst von Überschwemmungen getroffen, die große Teile der Ernte vernichteten.

Peking unter Druck

Die Blicke richten sich nun verstärkt nach Peking. Die chinesische Regierung, Nordkoreas engster Verbündeter, drängt darauf, sich Pjöngjangs Forderungen im Atomkonflikt gegenüber flexibler zu zeigen. Allerdings scheint China wieder ein doppeltes Spiel zu spielen. Die Wissenschaftler waren beim Besuch der Urananlage zum Schluss gekommen, dass diese höchstwahrscheinlich mit chinesischer Unterstützung gebaut worden sei. Chinas Regierung hat sich bisher nicht öffentlich zu der Anlage geäußert. Auch zur Schuldfrage beim Angriff auf das südkoreanische Kriegsschiff Cheonan, das im März nahe der Seegrenze mit 46 Soldaten an Bord gesunken war, hat China bisher nicht Partei ergriffen. Mit dem Angriff erhöht sich der Druck auf Peking, nun stärker auf das befreundete Regime in Pjöngjang einzuwirken.