Als der Nordatlantikpakt am 4. April 1949 feierlich in Washington unterzeichnet wurde, spielte die US-Militärkapelle George Gershwins Song "I've got Plenty of Nothing" ("Ich hab' gar nichts") aus der Oper "Porgy and Bess". Das war nicht einmal gelogen. Von ihrer Stärke waren die Bodentruppen des Ostblocks denen der Nato damals um das Zwölffache überlegen.

Wenn sich mehr als sechs Jahrzehnte später die westliche Verteidigungsallianz heute und morgen hart am äußersten Rand von Europa in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon trifft, um ein neues Strategiekonzept zu verabschieden, dann tut sie das als das mächtigste Militärbündnis der Welt.

Den einstigen Erzfeind, die Sowjetunion, gegen die der Pakt von den USA und ihren europäischen Verbündeten zu Beginn des Kalten Krieges geschlossen wurde, gibt es nicht mehr. Die Welt hat sich verändert. Ja, Bedeutendes tut sich. Zwischen der Nato und Russland bahnen sich bessere Beziehungen an. Beide Seiten wollen nach der kleinen Eiszeit wegen Moskaus Krieg mit Georgien im August 2008 nun neu beginnen.

Selten in der Geschichte der Nato war ein Gipfeltreffen mit so hohen Erwartungen verknüpft wie dieses. US-Präsident Barack Obama wird kommen und auch die Staats- und Regierungschefs der 27 anderen Bündnisstaaten haben sich angesagt. Insgesamt werden 50 Staatenlenker erwartet. Der Luftverkehr über Lissabon wurde stark eingeschränkt. 10.000 Polizisten und Nationalgardisten patrouillieren durch die Straßen der Stadt.

Der Gast, auf den sich aber alle Blicke richten, ist der russische Präsident Dmitri Medwedew. Er wurde an den Tejo eingeladen, weil die Russen an einer gemeinsamen Raketenabwehr mitbauen sollen. Das wünschen sich Präsident Obama, das wünscht sich die Nato, auch wenn die genauen Kosten und die Kommandostruktur noch ausgehandelt werden müssen. Umstritten ist in der Allianz auch, welche Folgen das System für die Politik der nuklearen Abschreckung hat. Ob es nur eine Ergänzung dazu ist oder aber eine breite Abrüstung von Atomwaffen einläutet.

Schutzschild vor dem Iran

Aber so viel steht fest. Der Schirm soll vor Raketenangriffen aus Staaten wie dem Iran schützen. Mehr noch: Die Rede ist von einem Verteidigungssystem, das von Vancouver in Kanada bis nach Wladiwostok am Japanischen Meer reicht. "Das wäre ein gewaltiges politisches Signal", sagt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Der Däne ist überzeugt: "Es ist Zeit für einen neuen Start in den Beziehungen zu Russland."

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Russland und der Westen annähern. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Nato eine neue Strategie gibt. Diese ist die siebte.

Die aktuell gültige war 1999 beschlossen worden - also noch vor den Terrorangriffen auf die USA vom 11. September 2001. Die Bedrohungen haben sich seither verändert. An die Stelle klassischer zwischenstaatlicher Konflikte sind neue Kriege getreten. Ihre Betreiber sind nicht mehr Staatskanzleien, sondern Warlords, Terroristen und Söldner. Die Schlachtfelder sind Flugzeuge, Wolkenkratzer wie die Twin Towers in New York, dicht besiedelte Städte und das Internet.

Diesem Wandel soll die neue Nato-Strategie Rechnung tragen. Bedeutend ist das Gipfeltreffen aber auch deshalb, weil US-Präsident Obama dort die Weichen für den stufenweisen Abzug der rund 130.000 internationalen Soldaten der Nato-geführten Afghanistan-Schutztruppe Isaf stellen will. Ab kommendem Jahr soll die Verantwortung nach und nach an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden.

Von Rückzug will niemand reden. Aber allen in Lissabon ist klar, dass selbst das mächtigste Militärbündnis der Welt nicht mächtig genug ist, um alle Konfliktherde rund um den Globus zu befrieden.