Prag am vergangenen Samstag. Es ist Abend. In einem Palais auf der Kleinseite geht es hoch her. Es sind die Anhänger der liberal-konservativen Partei TOP 09, die ihren fulminanten Wahlsieg feiern. Ihre Partei, die es vor eineinhalb Jahren noch gar nicht gab, hat die Hauptstadt Prag erobert. Ein Mann steht im Blitzlichtgewitter. Parteigründer Karl Schwarzenberg. Für Tschechiens Außenminister ist es ein besonderer Moment. Als Kind aus Prag vertrieben, erlebt er nun in der alten Heimat seinen größten politischen Triumph. Was für eine Paradoxie! Es sind ausgerechnet die Herzen der Jungen, die diesem Aristokraten alter Schule nur so zufliegen.

Herr Schwarzenberg, hätten Sie gedacht, dass Sie eines Tages in Tschechien zum Symbol der politischen Erneuerung werden?

KARL SCHWARZENBERG: Nein, aber manchmal gibt es erstaunliche Entwicklungen im Leben.

Ist das etwas Schönes?

SCHWARZENBERG: Aber ja. Politik mitzugestalten, auf seine alten Tage zu etwas nutze zu sein, das ist das Schönste, was einem im Leben passieren kann. Eichkatzerlnfüttern im Stadtpark würde mich zu Tode langweilen.

In Österreich wollte man Sie einst als Politiker nicht. In Tschechien sind Sie erfolgreich. Ist das eine späte Genugtuung?

SCHWARZENBERG: Ach Gott, politischer Erfolg ist auch abhängig von der Zeit. Und die Zeiten damals waren halt anders. Ich frage mich ja, ob auch Bruno Kreisky heute so einen Erfolg hätte.

Verfolgen Sie die Politik in Österreich überhaupt noch mit?

SCHWARZENBERG: Sicher. Aber ein Vorteil in Tschechien ist, dass wir bei allen Gegensätzen bis- her keine Partei haben, die rücksichtslose Demagogie zulasten Dritter betreibt. Das tut wohl.

Warum gewinnt eine Partei wie die FPÖ in einer bürgerlichen Stadt wie Wien fast 26 Prozent?

SCHWARZENBERG: So richtig bürgerlich war Wien ja nie. Aber reden wir nicht um den heißen Brei herum: Natürlich haben sich in Wien in den letzten Jahren viele Ausländer niedergelassen. Natürlich gab es gewisse Anpassungsschwierigkeiten. Das will ich gar nicht bestreiten.

Was hat Sie an der Wiener Wahl am meisten überrascht?

SCHWARZENBERG: Wenig.

Ängstigt Sie der Vormarsch der Rechten in Europa?

SCHWARZENBERG: Ich würde eine Partei wie die Freiheitlichen nie als rechts bezeichnen. Nie. Weil rechts basiert für mich auf dem Gedanken des Rechtes. Und das Recht muss die Grundlage jeder konservativen Partei sein. Von Recht ist bei denen da aber nicht die geringste Spur.

Was sagen Sie zur Selbstauslöschung der ÖVP in Wien?

SCHWARZENBERG: Das tut weh. Das ist ein schwerer Verlust auch für Wien. Denn auch wenn sie stets in der Minderheit waren, so waren die Christlichsozialen doch lange eine prägende Partei dieser Stadt. Denken Sie nur an Erhard Busek. Das waren Zeiten! Das war das letzte Mal, dass die ÖVP in Wien Bedeutung hatte. Aber den Busek, den hat man ja rausexpediert. Dabei wollte der noch was, hatte ungewöhnliche Ideen, eine Vision.

In ganz Europa brechen die Volksparteien ein, die Ränder drückt es nach oben. Warum?

SCHWARZENBERG: Welche Partei kann von sich noch behaupten, dass sie wirklich christlich-demokratisch ist? Wo weht heute noch der echte, lebendige Geist der Sozialdemokratie? Das sind in Wahrheit alles nur mehr Apparate, die sich selbst verwalten und reproduzieren. Von tragenden Gedanken findet sich da keine Spur mehr. Ab dem Moment, wo eine Partei keine Idee mehr verkörpert, verliert sie aber an Attraktion. Warum, sagen sich die Leute, soll ich einen Laden wählen, nur weil mein Vater und Großvater es getan haben?

Überall legen die Grünen zu, nur in Österreich verlieren sie, zuletzt in Wien. Enttäuscht Sie das?

SCHWARZENBERG: Es schmerzt. Aber wenn man sich rauft, statt Politik zu machen, darf man sich nicht wundern, wenn der Erfolg ausbleibt. Der Hang zu innerem Hader ist eine alte Kinderkrankheit der Grünen. Mittlerweile, würde man meinen, sind sie alt genug, um da herauszuwachsen.

Die Grünen sind ja nur ein Mosaikstein. Man hat das Gefühl, Österreich bewegt sich politisch im Kreis. Teilen Sie den Befund?

SCHWARZENBERG. Das ist nicht nur die Schwäche Österreichs. Es ist die Krankheit unser aller, Tschechien ist da nicht viel besser, die Slowakei ebenso nicht, von Ungarn ganz zu schweigen. Das Problem ist, dass wir uns immer mehr mit uns selber beschäftigen. Politik verkommt zur reinen Innenpolitik. Und das ist entsetzlich. Wir sind Betrachter des eigenen Nabels geworden.

Andere Länder, Großbritannien etwa, bringen sehr wohl die Kraft auf, sich neu zu erfinden. Warum schafft Österreich das nicht?

SCHWARZENBERG: Seien Sie nicht so pessimistisch. Österreich geht es hervorragend. Wenn ich mir die wohlhabenden Länder dieser Erde anschaue, dann gehört Österreich zu den reichsten. Und verzeihen Sie: Wenn es einem zu gut geht, dann wird man faul. Das ist mir ja auch passiert.

Heißt das, dem Land geht es zu gut, als dass es den Antrieb hätte, sich noch einmal zu erneuern?

SCHWARZENBERG: Ja, nur nix ändern, nur nix ändern. Wo sonst auf der Welt gibt es Autobahnraststätten, die einer Mischung aus kitschigem Schubertfilm und dem „Rosenkavalier“ entsprungen sein könnten? Österreich verkitscht sich selbst.

Wie nimmt Tschechien den Nachbarn wahr? Gibt es da überhaupt Anteilnahme, Neugierde?

SCHWARZENBERG: Und wie! Wenn Sie im Winter nach Hinterstoder oder Zell am See fahren, hören Sie auf der Piste nur noch Tschechisch. Viele haben hier ja noch Verwandte. Natürlich gibt es hier und da noch die Schatten der Vergangenheit. Aber für die Jungen spielt das keine Rolle mehr. Für die ist das weiter entfernt als für mich der Erste Weltkrieg.

Dauerstörfaktor in den nachbarschaftlichen Beziehungen ist Temelin. Können Sie die Urangst der Österreicher vor atomarer Energie nachvollziehen?

SCHWARZENBERG: Ich erinnere mich noch gut an die Zwentendorf-Volksabstimmung im Jahr 1978. Sie war weniger ein Plebiszit über die Atomkraft als eine Protesterklärung gegen Kreisky. Doch aus dem Protest wurde mit den Jahren ein Dogma wie die Neutralität. Beides ist heute sinnentleert, wird aber weiter hochgehalten. Wenn ich nach Orlik fahre oder auf meine Jagdhütte in den Wäldern dort unten, wohne ich zirka 25 Minuten von Temelin entfernt und fahre immer unter diesen Türmen durch. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie vertraut einem so ein Kühlturm werden kann.