Einen langjährigen Kommentator in Berlin hatte im Vorjahr der Mut verlassen. Er höre nun auf, die beiden heißesten Favoriten für den Friedensnobelpreis vorherzusagen, sagte er. Keiner seiner Kandidaten in mehr als zwei Jahrzehnten sei es bisher geworden. Helmut Kohl war seit der deutschen Einheit 1990 regelmäßig unter seinen Vorhersagen.

Damit stehen die Chancen in diesem Jahr vielleicht ganz gut, dass der Altkanzler am Freitag um elf Uhr tatsächlich vom Nobelpreiskomitee in Oslo preisgegeben wird. Dass der 80-Jährige wegen seiner Verdienste für die deutsche Einheit im 20. Jubiläumsjahr zum engeren Favoritenkreis zählt, berichtet jedenfalls der staatliche norwegische Fernsehsender NRK.

Nun grüßte Kohls Name schon seit 20 Jahren regelmäßig pünktlich zwei Tage vor der Bekanntgabe in Oslo wie das Murmeltier von den Zeitungsköpfen, doch dessen Gesundheitszustand und das passende Jubiläum machen Kohl tatsächlich in diesem Jahr wahrscheinlich.

Oder eben auch nicht. Denn der inhaftierte chinesische Dissident Liu Xiaobo ist der noch heißere Tipp in der ewigen Kaffee-Sud-Leserei im Vorfeld.

Der heiße Favorit

Selten haben Beobachter und Buchmacher vor der Bekanntgabe einen klareren Favoriten ausgemacht - und selten war das mit ihm verbundene politische Risiko höher: Die Auszeichnung wäre für Chinas Kommunistische Partei ein schmerzhafter Gesichtsverlust, weshalb Pekings Diplomaten bereits schwerwiegende Konsequenzen für die chinesisch-norwegischen Beziehungen angedroht haben.

Daher lautet die Schlüsselfrage: Trauen sie sich oder trauen sie sich nicht? Denn der Entscheid des Komitees im Herbst 2009 für US-Präsident Barack Obama hatte weltweit Kopfschütteln ausgelöst. Die Vergabe war selbst dem Geehrten peinlich. "Das war das Einzige, womit wir nicht gerechnet hatten: Dass wir uns dafür entschuldigen mussten, den Friedensnobelpreis gewonnen zu habe", sagte Obama im Interview.

Außerhalb Chinas wäre dem Komitee für die Ehrung Lius überwältigende Zustimmung gewiss. Wie selten vor einer Verleihung wurde für ihn geworben, unter anderem von den Friedensnobelpreisträgern Vaclav Havel, Desmond Tutu und dem Dalai Lama. Auch kritische Intellektuelle in China machten sich für Liu stark und versuchen so deutlich zu machen, dass dies für alle Regimekritiker Chinas ein starkes Signal der Unterstützung wäre.

Seit elf Jahren in Haft

Der 54-Jährige war im Dezember wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Liu hatte das Demokratiemanifest "Charta 08" initiiert, das sich an der Charta 77 der früheren CSSR-Dissidenten orientiert. Der Literaturwissenschaftler war bereits wegen der Teilnahme an den Studentenprotesten 1989 im Gefängnis und wurde wegen Kritik an der Einpartei-Herrschaft noch einmal verurteilt.

Doch es gibt auch Widerspruch gegen Liu. Laut "New York Times" haben 14 chinesische Regimekritiker aus dem Exil gefordert, den Nobelpreis nicht an Liu zu vergeben. Sie werfen ihm vor, er habe Weggefährten verleumdet und sei schonend mit der chinesischen Führung umgegangen.

Wird es also doch wieder jemand ganz anderes? Zu den 237 Kandidaten gehören auch Anti-Aids-Aktivist Hu Jia, Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng, die afghanische Menschenrechtlerin Sima Samar und die Russin Swetlana Gannuschkina von einer für Tschetschenen aktiven Flüchtlingshilfsorganisation. Auch 38 Organisationen zählen zu den Kandidaten. Letztere würden zumindest keine Diskussion um eine Person auslösen, weshalb diese Variante als nicht unwahrscheinlich gilt.