Herr ÖVP-Chef, sind Sie jetzt am Gipfel Ihrer persönlichen Karriereträume angelangt?

REINHOLD MITTERLEHNER: Ich bin nicht nach meinen Träumen, sondern nach Notwendigkeiten vorgegangen. Es war jetzt der Zeitpunkt, mich diesen Anforderungen zu stellen.

Welche sind denn die größten ÖVP-Baustellen, die Sie dringend sanieren müssen?

MITTERLEHNER: Es geht darum, dem Bürger und Wähler zu signalisieren, was die ÖVP als Regierungspartei für ihn bewirkt. Wir müssen aber auch die Einheitlichkeit der Firma ÖVP besser abstimmen, besser organisieren und besser leben.

Werden Sie als gelernter Sozialpartner die Widersprüche und gegensätzlichen Interessen in der Partei besser ausgleichen, austarieren können?

MITTERLEHNER: Wenn man mit gelernter Sozialpartner meint, dass ich verhandeln kann, sehe ich das als Kompliment. Wenn damit verbunden wird, dass man als solcher irgendetwas in die Länge zieht, wäre es negativ. Ein Kompromiss unter Einbindung aller Beteiligten ist gut, weil ungefilterte Interessenwahrnehmung eigentlich nie sinnvoll ist, immer irgendwen benachteiligt.

Wie wollen Sie denn die ewigen Zwischenrufer aus Ihrer Partei zum Verstummen bringen?

MITTERLEHNER: Ich will ein neues Klima der Zusammenarbeit schaffen. Außerdem werden wir intern Verhaltensregeln abklären, wie wir agieren. Und wenn sich einer nicht daran hält, sollte er auch die Kritik der Gruppe spüren. Das sollte zu einem anderen Verhalten führen.

Haben Sie Bedingungen gestellt, bevor Sie die Obmannschaft übernommen haben?

MITTERLEHNER: Für mich war es wichtig, dass ich mir meine Mannschaft aussuchen kann. Ich möchte jetzt der Partei Mut machen, dass wir gemeinsam in Richtung Horizonterweiterung und Veränderung Schritt für Schritt weiterkommen.

Ist die Struktur der ÖVP, sind die Bünde noch zeitgemäß?

MITTERLEHNER: Zeitgemäß sind sie dann nicht mehr, wenn wir uns überhaupt nicht mehr weiterbewegen, nur Grundsatzbeschlüsse fällen und Klientelinteressen haben. Wenn wir nur den Besitzstand wahren, werden wir immer kleiner werden in einer sich immer schneller verändernden Welt mit neuen Anforderungen. Es wird darum gehen, für alle Betroffenen zusätzliche Angebote weiterzuentwickeln. Das klingt einfach, setzt aber eine bestimmte Beweglichkeit voraus.

Ist es nicht längst so, dass immer dann, wenn eine Entscheidung getroffen wird, zumindest einer der Bünde betroffen ist, er die Zeche zahlen muss?

MITTERLEHNER: Wir müssen schauen, dass wir möglichst in eine Win-win-Situation kommen, sodass jeder bei einer bestimmten Entscheidung das für ihn Positive erkennen kann. Eine für alle immer hundertprozentig positive Entscheidung wird es nicht einmal bei Verteilungsaktionen geben, weil irgendwer auch diese finanzieren muss.

Wofür steht die ÖVP eigentlich inzwischen?

MITTERLEHNER: Wir müssen es schaffen, das grundsätzlich an Wertvorstellungen Ausgerichtete mit dem kurzfristig Notwendigen zu verbinden.

Was soll denn das heißen?

MITTERLEHNER: Ich kann das an einem harmlosen Beispiel exemplarisch darstellen, beim Thema Versorgungssicherheit in der Energiepolitik, wenn wegen der Ukraine-Krise Probleme auftreten: Da muss sich jeder zuständige Minister wie ein Manager umfassend mit dem Thema Versorgungssicherheit befassen, also Speicherkapazität und so weiter ...

Ist ja interessant, aber ...

MITTERLEHNER: Moment, ich komme schon zum Grundsätzlichen, nämlich, was ist der Wert dahinter? Die ÖVP steht, abgeleitet aus dem Prinzip der ökosozialen Marktwirtschaft, für Nachhaltigkeit und will grundsätzlich die Frage der Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien, mit Effizienz und Alternativen im Gesamtsystem bis hin zum CO2-Abbau verbinden. Das ist ein ganz konkretes Politikfeld.

Was planen Sie in der Familienpolitik? Wird sie liberaler?

MITTERLEHNER: Das Familienbild mit Vater, Mutter, Kind ist durchaus förderungswürdig und richtig. Daneben muss man auch andere Formen des Zusammenlebens wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften respektieren und mit Rahmenbedingungen ausstatten.

Haben Sie da neue Ideen?

MITTERLEHNER: Das wird bei uns gerade diskutiert im Prozess "Evolution", aber auch in einer Arbeitsgruppe beim Justizminister. Wir sind da offen für durchaus neue Wählergruppen, ohne unsere Werte zu verletzen. Unsere Stammkompetenz Wirtschaft wollen wir natürlich auch noch stärken.

Was ist bei der Ganztagsschule, die ja schon länger Ihre Sympathie genießt, zu erwarten?

MITTERLEHNER: Auch dort will ich den Prozess einmal laufen lassen. Wir müssen auch die Neue Mittelschule bewerten, dann wird man sehen. Wenn ich bei der Kinderbetreuung Richtung Förderung und Ganztagesangebote gehe, wird man überlegen müssen, wie das im Schulbereich ist, mit allen Für und Wider.

Wann ändert sich dabei etwas?

MITTERLEHNER: Wir werden zum Jahresende oder Anfang 2015 weitere Diskussionen haben.

Wie werden Sie denn mit der SPÖ umgehen? Besser, wird weniger öffentlich gestritten werden?

MITTERLEHNER: Ich sehe die Schuld nicht ausschließlich bei den anderen. Ein Euro allein scheppert nicht. Der Bundeskanzler und ich haben schon besprochen, dass wir das Gemeinsame stärker herausstreichen und profilieren wollen.

Stichwort Steuerreform: Sie wehren sich gegen Vermögenssteuern zu deren Finanzierung. Was aber ist mit neuen, höheren Vermögenszuwachssteuern?

MITTERLEHNER: Das ist offen. Aber ich sehe den ganzen Prozess strukturiert, das heißt, wir evaluieren jetzt einmal die Möglichkeiten, den Umfang und einzelne Varianten. Wenn das als Paket feststeht, werden wir mit der SPÖ über eine Gegenfinanzierung reden. Dann wird man dort zu einer oder zu keiner Lösung kommen.

Nächste Worte startet die ÖVP ihre Programmdebatte. Wohin wollen Sie die Partei lenken?

MITTERLEHNER: Ich kann und will da jetzt keine Vorgaben machen, nicht den Ergebnissen vorgreifen. Das soll ordentlich diskutiert werden. Ich will aus Betroffenen Beteiligte machen. Das soll aber kein Ventil oder eine intellektuelle Spielplattform werden, es muss auch über die konkrete Umsetzung geredet werden.

Sie sind 58 Jahre alt, für wie lange legen Sie Ihre ÖVP-Obmannschaft an? Sind Sie, wie manche glauben, nur ein Übergangsparteichef?

MITTERLEHNER: Ich sehe keine Not, das jetzt schon zu klären, mache mir da überhaupt keinen Druck. Ich will die Partei nach vorne bringen. Planungen sind da so eine Sache, die Realität ist dann oft eine ganz, ganz andere.