Frau Korun, Sie sind in der Türkei aufgewachsen, leben aber seit 20 Jahren hier. Was halten Sie vom Erdogan-Besuch?

ALEV KORUN: Ich sehe den Besuch sehr kritisch. Erdogan stellt das Trennende in den Vordergrund. Ich arbeite seit Jahren in der Integration an einem neuen Wir-Gefühl. Ich will keine neuen Grenzen mehr ziehen. Ich habe Sorge, dass Erdogan mit seinem Besuch großen Schaden anrichtet.

Welchen?

KORUN: Erdogan predigt ein altes, überholtes Konzept: Für ihn ist man entweder Türke oder Österreicher. Es lebt in der Zwischenzeit die dritte, vierte Generation hier. Man kann türkische Wurzeln haben und dennoch Österreicher sein.

Der türkische Botschafter erklärt, Österreich sei für die Türken die zweite Heimat. Ist das nicht ein problematischer Ansatz?

KORUN: Die Leute sollen selber entscheiden, was sie als Heimat oder als Wahlheimat definieren. Wer in Österreich geboren ist, sieht das wohl anders als jemand, der mit 18 eingewandert ist.

Warum gibt es in Österreich prozentuell sogar mehr Erdogan-Anhänger als in der Türkei?

KORUN: Ich kenne keine Zahlen, aber das kann durchaus so sein. Zum einen kommen viele der eingewanderten Türken aus den Regionen, in denen Erdogan stark ist. Zum anderen bringen gerade jene Türken, die sozial benachteiligt sind, denen der Aufstieg nicht gelungen ist, Sympathien für Erdogan auf. Erdogan holt die Enttäuschten geschickt ab.

Mit welcher Masche?

KORUN: Indem er den in Österreich lebenden Türken sagt: Wenn die Türkei stark ist, steht ihr nicht mehr am Rande der Gesellschaft, sondern könnt selbstbewusst auftreten. Würden die Türken in Österreich nicht immer nur als "Problem" angesehen werden, würde die Botschaft nicht auf fruchtbaren Boden fallen.

Sollten Faymann oder Fischer ihn treffen?

KORUN: Nein, denn Erdogan macht Wahlkampf in Wien.

Sollte Erdogan gar nicht nach Wien kommen?

KORUN: In jeder Rede macht der Ton die Musik. Problematisch ist, dass er das Trennende vor das Verbindende stellt.