Zum ersten Mal lud die Kleine Zeitung am Montagabend in ihren "Wiener Salon" in den neu gestalteten Redaktionsräumen gegenüber der Albertina. Bundespräsident Heinz Fischer, mit dem wir unsere Gesprächsreihe eröffneten, sprach über die Reformblockaden der Nation, die Fehler des Westens in der Ukraine-Krise und Gründe für das Desinteresse vieler Menschen am EU-Wahlkampf.

Herr Bundespräsident, haben Sie Verständnis für den hohen Frustpegel in der Bevölkerung?

HEINZ FISCHER: In etlichen Bereichen schon. Wir haben zwar sehr gute Wirtschaftsdaten, aber gleichzeitig manche höchst unerfreuliche Entwicklungen und Stimmungen, die man sehr, sehr ernst nehmen muss.

Ärgerliche Reformblockaden?

FISCHER: Ja. Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist problematisch. Da hat sich in den letzten vierzig Jahren wirklich das Kräfteverhältnis verschoben.

Zugunsten wessen?

FISCHER: Zugunsten der Länder. In den Nachkriegsjahren wurde vieles mithilfe von Verfassungsbestimmungen bundeseinheitlich neu geregelt. Viele kleine Entwicklungen führten dann zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses und zu einer Pattstellung zwischen Bund und Ländern. Das macht manche Reformen schwieriger.

Sie wollen den Einfluss der Länder zurückdrängen?

FISCHER: Ich würde mir einen Durchbruch erhoffen, selbst wenn einzelne Länder skeptisch sind.

Wie soll das gehen?

FISCHER: Die Ergebnisse des Österreich-Konvents, dessen Vizepräsident ich war, müssten gesichtet und gesiebt werden. Dort findet man Bausteine für einen Umbau in verschiedenen Bereichen.

Eine neue Verfassung?

FISCHER: Ich habe einmal gesagt, zum hundertsten Geburtstag der Republik 2018 sollten wir eine neue Verfassung haben. Aber die Wahrscheinlichkeit ist seither nicht größer geworden.

Hannes Androsch hat kürzlich gesagt, wenn sich dieses Land nicht bald einen Ruck gibt, wird es einen großen Knall geben. Sehen Sie das auch so?

FISCHER: Ich bin um etliches mehr Optimist. Ich sehe, woran viele leiden, aber ich spüre auch, dass in Österreich doch sehr vieles herzeigbar ist. Aber ohne Zweifel ist Reformbedarf gegeben. Vielleicht muss der Leidensdruck bei uns größer werden als in anderen Ländern. Die Situation ist ernst und schwierig, aber nicht unlösbar.

Am Sonntag wird das EU-Parlament gewählt, wenige scheint es zu interessieren. Wie erklären Sie sich das Desinteresse?

FISCHER: Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie durch die Teilnahme an der Wahl die politische Entwicklung nicht beeinflussen können. Wir müssen deshalb den Menschen sagen, bitte unterschätzt das Gewicht einer Stimme nicht. Denken Sie an die Wahl von 1999. Damals lagen 400 Stimmen zwischen ÖVP und FPÖ. Auch eine Mehrheit besteht aus einer Summe von einzelnen Stimmen.

Über 40 Prozent der Österreicher meinen, dass die EU mehr Nachteile als Vorteile gebracht hat. Wie erklären Sie sich das?

FISCHER: Vielleicht steckt dahinter auch das Gefühl, die EU hat uns vor der Krise nicht oder nicht genug geschützt. Wer so denkt, sollte überlegen, wie es ausgesehen hätte, wären lauter Einzelstaaten der Krise gegenübergestanden.

Wie sehen Sie die Wahlplakate?

FISCHER (schweigt lange):

Danke . . .

FISCHER: Wissen Sie, ich habe deswegen geschwiegen, weil ich selber zweimal Wahlkampf führen durfte oder musste. Was schreibt man auf ein Plakat? Ein Plakat gescheit zu formulieren, sodass die Kleine Zeitung zufrieden ist und es außerdem die Stimmenzahl erhöht, das ist eine Megaaufgabe.

Am Sonntag wählt auch die Ukraine. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, die von dort ausgeht?

FISCHER: Nato-Generalsekretär Rasmussen spricht von einer enormen Bedrohung für ganz Europa, davon, dass die ganze Sicherheitsarchitektur der Nato erneuert werden müsse und die Truppen in den grenznahen Bereichen zu verstärken sind. Das ist eine rein militärische Betrachtung und die ist nicht der Schlüssel zur Lösung des Problems.

Hat Europa Fehler gemacht?

FISCHER: Ich meine, dass vor längerer Zeit schon Fehler passiert sind, nicht erst nach dem Sturz von Präsident Janukowitsch. Man hat den Russen nach dem Ende der Sowjetunion deutlich signalisiert, man würde ihre Sicherheitsinteressen respektieren. Bei der Klärung der Frage, wohin sich die Ukraine entwickeln soll, Russland auszuschalten, war nicht hilfreich.

Die Annexion der Krim war auch für Sie völkerrechtswidrig?

FISCHER: Natürlich war das völkerrechtswidrig. Dagegen muss man deutlich protestieren und eine klare Sprache führen. Man muss den Russen klarmachen, dass das keine Methode in der internationalen Politik ist. Aber mir fällt auf, dass immer gesagt wird, es müssen alle Kanäle offen sein, aber es geschieht nichts. Man muss Gespräche führen, aber viele denken mehr an Sanktionen als an Gespräche aller Beteiligten.

Sie verstehen Putin ein bisschen?

FISCHER: Ich könnte nicht stolz darauf sein, wichtige Dinge nicht zu verstehen.

Helmut Schmidt sprach von geopolitischem Größenwahn der EU. Sehen Sie das auch so?

FISCHER: Helmut Schmidt hat seit 50 Jahren eine spezifische Sprache, die nicht ganz die meine ist, und daran wird sich auch im 51. Jahr nichts ändern.

Würden Sie Präsident Putin treffen, was würden Sie ihm sagen?

FISCHER: Ich würde ganz offen mit ihm über die Probleme aus der Sicht des Westens, aus der Sicht der Ukraine und aus der Sicht Russlands reden. Ich würde ihm sagen, dass Wahlen in der Demokratie ein ganz wichtiges Element sind und man auch in der Ukraine auf faire Wahlen nicht verzichten kann. Ich würde sagen, dass Putin aufpassen muss, nicht eine Politik zu verfolgen, die unterm Strich seinem Land mehr schadet als nützt. Wir sollten uns vor einer Politik hüten, die allen Seiten schadet. Wir sind auf bestem Wege zu einer solchen Politik.

Was kann Österreich tun?

FISCHER: Österreich sollte alles ermuntern, was Kontakte ermöglicht und Kanäle offenhält. Österreich sollte im europäischen Geleitzug bleiben, nicht der EU-Politik entgegenstehen, aber sein besonderes Interesse an friedlichen, gewaltfreien Lösungen unterstreichen und das Modell der Neutralität im Gespräch halten.

Der Salon zum Nachsehen