Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand in meiner Umgebung bekennt, ein Europäer zu sein. Der Satz "Ich bin ein Europäer" ist ein Programm. Es versteht sich von alleine, was er bedeutet: einmal einen Traum, einmal eine Vision, manchmal auch eine Utopie.

Aber so gut wie nie etwas Handfestes. Fragt man einen "Europäer", was er bzw. sie möchte, lautet die Antwort meistens: "Ein Europa ohne Grenzen", als müssten die Reisenden auf der Fahrt von Wasserburg am Inn nach Sankt Pölten noch immer an jedem Schlagbaum Wegezoll entrichten. Einige meinen, Europa müsse "mit einer Stimme sprechen", um im globalen Wettbewerb gegen die USA und Asien bestehen zu können. Tatsächlich spricht Europa bereits mit einer Stimme - es ist die von Angela Merkel, was nicht von Nachteil sein muss. In jeder Flotte muss es einen geben, der Richtung und Tempo des ganzen Geleitzuges bestimmt.

Nimmt man aber den Satz, Europa müsse mit einer Stimme sprechen, ernst, erweist er sich als teure Fiktion. Es gibt in Brüssel nicht nur die Vertretungen der 28 EU-Staaten, sondern auch viele weitere "Repräsentanzen". Eine der pompösesten gehört dem Freistaat Bayern. Auch Hessen unterhält ein "Verbindungsbüro". Es "vertritt die hessischen Interessen bei der EU und informiert die Landesregierung über aktuelle Entwicklungen vor Ort", vermutlich mithilfe reitender Boten, die Depeschen zwischen Brüssel und Wiesbaden hin- und herbefördern, weil das Mailen noch nicht erfunden wurde.

Umgekehrt gibt es in allen zwölf Berliner Stadtbezirken "Europabeauftragte", deren Arbeit von der EU gefördert, also bezahlt wird. Sie vermitteln u. a. Praktika an Arbeitslose, wozu die örtlichen Arbeitsämter offenbar nicht in der Lage sind.

Und dann ist da noch der Europäische Auswärtige Dienst, der die Arbeit des "Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik" unterstützen soll. Es handelt sich um ein globales Netzwerk von 136 "Delegationen", die nicht "Botschaften" heißen dürfen, weil der "Hohe Vertreter" nicht als "Außenminister" auftreten darf. Bis jetzt ist in keinem der Länder, in denen es eine EU-Delegation gibt, eine einzige Botschaft eines EU-Landes geschlossen worden. Der Europäische Auswärtige Dienst beschäftigt über 3600 Mitarbeiter, 1600 in der Zentrale, 2000 in den "Delegationen". Etwa zwei Drittel von ihnen sind ehemalige Beamte und Bedienstete der Kommission und anderer EU-Einrichtungen, die am Ende ihrer Laufbahn für ihre Dienste mit einem Platz an der Sonne belohnt werden.

Das sind nicht bedauerliche Kollateralschäden eines ansonsten gesunden Systems, es ist das System: eine gigantische Arbeitsbeschaffungs- und Gewinnmaximierungsmaßnahme, die fröhlich und unkontrolliert vor sich hin wuchert. Auf Kosten Europas, auf Kosten der Europäer.

Ist es das, was Europa braucht? Nein! 25 Jahre nach dem Ende des Kommunismus braucht Europa eine neue Wende, eine bürgerliche Revolution, die den neuen Adel des Kontinents, eine Kaste selbstgefälliger Bürokraten, dorthin schickt, wo sie noch nie waren: in die Produktion.