Frau Glawischnig, bis vor Kurzem taten die Grünen so, als ob die Neos eine ÖVP-Abspaltung sind. Jetzt kommt man drauf, dass sie im grünen Teich fischen. Tun den Grünen die Neos doch mehr weh als Ihnen lieb ist?

EVA GLAWISCHNIG: Ich freue mich über jeden neuen Partner, der deutlich angenehmer ist als das BZÖ. Es gibt Überschneidungen und Unterschiede. Die Neos sind die ÖVP in deutlich sympathischerem Gewand.

MATTHIAS STROLZ: Also bitte. Wir sind eine Neuschöpfung und kommen mitten aus dem Leben. Ein Drittel unserer Wähler hat früher grün gewählt. Wir sind Freunde der Eigenverantwortung, von der Bildung bis zur Wirtschaft. Bei der Schule wollen wir, dass die Direktoren die Lehrer einstellen. Wer als Lehrer ungeeignet ist, muss sich nach was anderem umsehen. Wir sind Freunde der Freiheit, gleichermaßen Freunde starker sozialer Netze. Nur, sie müssen enkelfit organisiert und finanziert sein.

GLAWISCHNIG: Auch ich liebe die Freiheit, nur haben wir begrenzte Ressourcen auf dem Planeten. Mit der Forderung nach Eigenverantwortung lässt man leicht die Schwächsten der Gesellschaft im Stich. Unbegrenztes Wachstum gibt es nicht mehr.

STROLZ: Wir wollen nicht Wirtschaft und Umwelt gegeneinander ausspielen, sondern haben eine ganzheitliche Weltsicht und lehnen Kampfmetaphern ab. Nur haben wir ein Problem in Österreich: Seit 52 Jahren machen wir Schulden, die Grünen sind seit 25 Jahren am Spielfeld. Euch hat das offenbar nie gestört. Ihr seid Komplizen der Misswirtschaft auf Kosten der nächsten Generation. Diese Form der sozialen Gerechtigkeit ist bei den Grünen unterbelichtet.

GLAWISCHNIG: Das weise ich aufs Schärfste zurück. Wo die Grünen in der Regierung sind, in Oberösterreich, haben wir hervorragende Budgetdaten. In Kärnten und Salzburg räumen wir gerade auf. Wir sind nie für eine Erhöhung der Steuern- und Abgabenquote eingetreten. Mein Wertekompass ist ausgerichtet auf die Ökologie und der Einsatz für die Schwächsten.

STROLZ: Wir sehen das anders. Statt bei der Energieeffizienz über Verbote nachzudenken, setzen wir auf Innovation und legen Rahmenbedingungen fest. Den Menschen vorzuschreiben, was sie tun sollen, da tue ich mir schwer. Ich habe früher auch grün gewählt, nur stört es mich, dass ihr dauernd mit erhobenem Zeigefinger durch die Republik rennt. Beim Strasser-Plakat hat ihr den Bogen überspannt.

GLAWISCHNIG: Wir haben uns das sehr überlegt. Niemand hat dem Ansehen des EU-Parlaments mehr geschadet als Strasser.

STROLZ: Das ist ein Meuchelfoto und Menschenhatz.

Würden Sie das Foto heute noch einmal bringen?

GLAWISCHNIG: Das Foto wurde vielfach in Zeitungen publiziert. Ich kann die Irritation nachvollziehen. Im Nachhinein hätten wir es vielleicht ein wenig anders gemacht.

Gibt es zwischen Ihnen mehr Gemeinsamkeiten oder Unterscheidungen?

GLAWISCHNIG:. Bei Europa gibt es große Unterschiede. Die EU-Liberalen sind Gegner bei Klimaschutz, Frauenquoten, Mindestlohn. Ich will nicht, dass der Markt alles regelt. Es gibt viele Bereiche, die nicht profitorientiert organisiert sein sollen, etwa Daseinsvorsorge, kommunaler Abfall, Gesundheit. Ihr wollt, dass sich der Staat nicht um den Abfall kümmert. Da wird aber ausgeblendet, dass wir bei der Fischer-Deponie noch lange für die Sünden der Vergangenheit zahlen müssen, weil ein Privater, der in Konkurs gegangen ist, das Grundwasser verdreckt hat.

STROLZ: Wer macht die Müllentsorgung in Mödling oder Graz? Das sind private Dienstleister. Ihr plakatiert die krumme Gurke, obwohl es diese gar nicht mehr gibt. Das ist FPÖ-Stil. Ihr sagt, wir wollen das Wasser privatisieren, was überhaupt nicht stimmt.

GLAWISCHNIG: Das haben wir nie behauptet.

STROLZ: Doch. Wir reden über die Wasserversorgung, und bekanntlich gibt es in vielen Gemeinden solche Kooperation mit den Privaten. Ihr redet so, als ob wir das Wiener Wasser Nestlé verkaufen wollen. Ihr seid so wie die ÖVP, die durch die Lande rennt und behauptet, wir wollen die Abtreibung bis zum acht Monaten. Das ist kränkend für mich. Ich habe Spindelegger geschrieben, er soll es unterlassen, und bekomme ein schnoddriges Mail vom Generalsekretär zurück.

GLAWISCHNIG: Ich bin ohnehin für mehr Präzision in der Diskussion. Die Müllentsorgung ist eine Kernaufgabe der Gemeinden, wobei sich manche durchaus privater Entsorger bedienen. Mit der Auslagerung der Wasserversorgung an Private wie in Paris oder Potsdam hat man nur negative Erfahrungen gemacht. Abfall oder Wasserversorgung sollten außerhalb der Marktlogik organisiert sein und nicht gewinnorientiert arbeiten. Ich verstehe nicht, warum man aus ideologischen Gründen das privatisieren soll.

STROLZ: In der Steiermark, wo es Private machen, funktioniert es auch. In Niederösterreich zahlt man die Wasserrechnung an die EVN. Die Grünen betreiben nur Panikmache.

GLAWISCHNIG: Ich verwahre mich gegen solche Unterstellungen. Ich will nicht, dass man alles dem ungezügelten Markt überlässt.

STROLZ: Sie verwechseln uns mit Neoliberalen.

Was ist der Unterschied?

STROLZ: Neoliberal ist ein Schimpfwort für kalte, egoistische, ignorante Geldsäcke. Das sind wir nicht. Wir wollen Verantwortung in diesem Land. Wenn ich an die Hypo denke, an die Stadt Salzburg.

GLAWISCHNIG: Da waren wir aber nicht schuld.

STROLZ: Ja, Ihr seid an fast nichts schuld, weil Ihr 25 Jahre lang pubertiert habt. Ihr wart zum Regieren nicht zu gebrauchen.

GLAWISCHNIG: Nach eurer Logik wäret ihr jetzt in der Windelphase? Das ist albern. Neoliberal ist nicht nur ein Schimpfwort, sondern eine politische Strömung, die ich entschieden ablehne.

STROLZ: Ich verwahre mich gegen die grüne Panikmache. Wir sind Freunde des Freihandels, um breiten Massen Wohlstand zu bescheren, wie das die EU vorexerziert hat. Auf der emotionalen Schiene wird versucht, mit der Angst der Menschen Stimmung zu machen.

GLAWISCHNIG: Mir geht es nicht um Panikmache, sondern um die Grundsatzfrage: Wie produzieren wir unsere Lebensmittel? Wollen wir eine industrialisierte oder eine naturnahe Landwirtschaft? Es ist absurd, dass Knoblauch aus China billiger ist als heimischer.

Wirtschaftspolitisch werden Sie sich nicht mehr zusammenraufen?

STROLZ: Die Grünen haben ein gestörtes Verhältnis zur unternehmerischen Selbstverantwortung. Beim Freihandelsabkommen mit den USA sind wir etwa die Einzigen, die einen differenzierten Ansatz wählen. Alle anderen drücken immer nur auf die emotionale Taste.

GLAWISCHNIG. Das stimmt für uns nicht, ich will nur Ausnahmen bei der Daseinsvorsorge und der Landwirtschaft. Im Übrigen sind wir nicht wirtschaftsfeindlich. Schauen Sie nach Oberösterreich mit der Voest. wo wir seit Jahren mitregieren.

Noch ein anderes Thema: Sind die Neos putinhörig?

STROLZ: Bei mir hat er noch nicht angerufen. Es geht um die Grundsatzentscheidung: Will ich Russland als Nachbarn oder als Feind vor der Haustüre? Will ich bei der Türkei einen Gottesstaat vor der Haustüre? Oder einen Partner? Wir sind keine Mitgliedschaftsfetischisten.

Und langfristig?

STROLZ: Bei der Türkei ist ein Beitritt vorstellbar, allerdings muss das Land menschenrechtlich ganz woanders sein. Russland ist ein Riesenland und passt nicht in die EU. Bei der Ukraine sagen wir klar: Es wird keine Lösung ohne Russland geben. Russland ist nicht unser Feind, so daneben dieser Putin derzeit ist. Es wird auch ein Russland nach Putin geben, und es gab auch Punkte für Conchita Wurst aus Russland.

Sehen Sie das ähnlich?

GLAWISCHNIG: Ich sehe nur, dass Österreich den Russen wegen der engen wirtschaftlichen Beziehungen viel zu wenig auf die Zehen steigt.

Soll die Türkei langfristig in die EU?

GLAWISCHNIG. Die Türkei unter Erdogan entfernt sich gerade wieder von europäischen Werten.

STROLZ: Wenn wir der Türkei die kalte Schulter zeigen, haben wir einen Gottesstaat vor der Haustüre.

2003 waren die Grünen für eine EU-Armee. Warum heute nicht mehr?

GLAWISCHNIG: Dafür müssten die EU-Staaten aus der Nato aussteigen. Das ist ein sehr utopisches Konzept.

Wohin soll Europa gehen?

STROLZ: Ich will, dass Europa beim Treffen der G-8 im Jahr 2040, wenn Beschlüsse zu Klimawandel und Ökonomie getroffen werden, immer noch dabei ist. Voraussetzung ist allerdings, dass sich Europa weiterentwickelt. Wenn uns das nicht gelingt, sitzen wir nicht mehr am Tisch dabei und werden zum Spielball fremder Interessen.

GLAWISCHNIG: Meine Vision ist nicht, dass wir bei den G-8 mitspielen, sondern dass wir unsere ökologischen Standards weltweit durchsetzen.

Wer liegt am 25. Mai vorn? Die Neos und die Grünen?

GLAWISCHNIG: Es geht um jede einzelne Stimme. Ich will nicht, dass die EU-Liberalen gestärkt werden, die die Atomkraft ausbauen will.

STROLZ: Sie wissen aber auch, dass es im EU-Parlament keinen Klubzwang gibt? Wir würden in Straßburg gleich abstimmen wie die Grünen.

Trotz der heftigen Debatte: Ist es das Ziel, dass es das nächste Mal eine Dreierkoalition unter Beteiligung der Neos und Grünen gibt?

STROLZ: Das würde dem Land gut tun.

GLAWISCHNIG: Die FPÖ darf man nicht mehr regieren lassen. Die Neos eröffnen neue Chancen.

Ein Dreier unter einem roten oder einem schwarzen Kanzler?

GLAWISCHNIG. Es darf kein Kanzlerdarsteller sein.