Nur noch 37 Tage sind es bis zur EU-Wahl. Es hat Rücktritte von Spitzenkandidaten gegeben und andere Aufreger, aber Europa ist in diesem Wahlkampf noch immer kein Thema. Glauben Sie, wird es noch zum Thema?

FRANZ FISCHLER: So schnell kann es gehen! Vor einigen Wochen hat das Thema Frieden in Europa noch ein müdes Lächeln hervorgerufen. Jetzt steht der Friede in der Ukraine auf der Kippe und kein europäischer Staat kann allein mit diesem Problem fertig werden. Besser kann man gar nicht darstellen, dass Europa ohne Alternative ist.

Der Ruf Europas hat in der Krise unglaublich gelitten. Kann die EU ihr negatives Image je korrigieren?

FISCHLER: Ich stimme absolut zu. Das ist zum Teil durch die Repräsentanten Europas selber verursacht, vor allem in den Mitgliedsstaaten. Die haben sich zu wenig um dieses Thema gekümmert. Aber es geht nicht nur um das Image. Europa hat in der Tat eine der schwersten Krisen, seit es existiert, durchgemacht. Dass da blaue Flecken bleiben, ist normal.

Seit Jahren kämpfen Europas Spitzenpolitiker gegen diese Krise rund um Staatsschulden und Bankenfiasko. Es gab einige Fortschritte, aber ist das bei den Menschen angekommen?

FISCHLER: Man muss dazu sagen, dass das keine europäische Krise war und ist, sondern eine internationale Krise. Europa allein kann diese Probleme gar nicht lösen. Wir haben unsere Hausaufgaben einigermaßen erledigt, doch es hat sehr lange gedauert und es war ein ziemliches Gezerre, bis man sich auf Lösungen verständigt hat. Noch dazu waren es teilweise eher zweitbeste Lösungen.

Alles hat sich um die Banken gedreht, ist das ein Grund, dass viele Menschen Europa ablehnen?

FISCHLER: Es kommt etwas dazu, was, wie ich glaube, die Bürger am meisten bedrückt. Es ist der Eindruck, dass die Finanzmärkte das politische Geschehen bestimmen und dass die Politik nicht mehr die Oberhoheit über das wirtschaftliche Geschehen hat.

Fürchten Sie um den Bestand der EU?

FISCHLER: Fürchten ist das falsche Wort. Ich fürchte nicht, dass die EU zusammenbricht. Was ich fürchte, ist, dass man zu langsam und zu spät die für die Zukunft nötigen Schritte setzt und dafür sorgt, dass Europa wieder in ein ruhigeres Fahrwasser kommt. Was meine ich damit? Es stimmt, und die jüngsten Ereignisse beweisen es, dass Europa ein Friedensprojekt ist. Aber für die Jüngeren ist das Friedensprojekt keine ausreichende Erklärung.

Was wäre eine Idee für die Jüngeren?

FISCHLER: Das größte Problem Europas ist das soziale Problem. Wenn man an die Arbeitslosigkeit denkt, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, und wenn man schaut, wie viel Geld Europa hier in die Hand nimmt, dann sind das ein paar Milliarden Euro, während mittlerweile für die Rettung des Euros 700 Milliarden in die Hand genommen wurden. Das ist unverhältnismäßig.

Ist es also so, dass Europa im Sozial- und Beschäftigungsbereich den größten Reformbedarf hat?

FISCHLER: Ich würde das noch ein bisschen erweitern. Neben der ökonomischen Seite hat die Perspektivenlosigkeit insbesondere vieler jugendlicher Arbeitsloser für die Zukunft dramatische Folgen. Dazu kommt noch ein dritter Bereich, nämlich, wie wir mit unseren spärlichen Ressourcen und der Umwelt in Europa umgehen.

Was also soll das EU-Parlament tun, wenn es nach der Europawahl neu aufgestellt ist?

FISCHLER: Wir brauchen eine klare Strategie, die bisherigen reichen nicht. Dazu kommt eine zweite Schwäche, bei der Europa gewissermaßen sehr österreichisch ist. Wir sind sehr gut, irgendwelche Modelle und Ideen zu Papier zu bringen, aber wir sind ziemlich schwach, wenn es darum geht, Dampf zu machen und diese umzusetzen.

Wie gefährlich wäre bei der EU-Wahl ein Erfolg der EU-Gegner, die in manchen Ländern sehr stark zu sein scheinen? Oder sind die nur eine Randerscheinung?

FISCHLER: Leider sind sie keine Randerscheinung. Den Populisten hilft, dass sie geradezu genial sind, Schlagzeilen zu besetzen und auf komplizierte Fragen simple Antworten zu geben. Diese Antworten haben allerdings den Nachteil, dass sie falsch sind. Aber das kümmert diese Leute kaum und die Bürger werden von der Einfachheit geblendet.

Österreich profitiert vom EU-Beitritt wie kein anderes Land. Warum ist die EU-Stimmung trotzdem so schlecht?

FISCHLER: Man hat den Populisten viel zu lange das Feld überlassen und eigentlich schon seit 20 Jahren keinen ausreichenden Dialog mit der Bevölkerung zum Thema Europa geführt. Die Leute wollen ihre Fragen loswerden, die wollen Antworten kriegen auf das, was sie bedrückt. Das passiert zu wenig. Und das muss zum Kern der Wahlauseinandersetzung gemacht werden. Die Europapolitiker müssen hinausgehen und mit den Leuten reden. Das ist nicht nur Sache der Kandidaten für das EU-Parlament. Ich erwarte mir schon, dass alle Regierungsmitglieder aufmarschieren und mit den Bürgern einen dringend notwendigen Dialog führen.