J etzt hat die SPÖ Eugen Freund als Spitzenkandidat der EU-Wahl nominiert. Hat er einen Startvorteil, weil er noch nicht im EU-Parlament sitzt und wahlkämpfend durch Österreich ziehen kann, während Sie in Straßburg und Brüssel arbeiten müssen?

OTHMAR KARAS: Er ist ein Mitbewerber in einem hoffentlich fairen Wahlkampf. Ich bin sehr gespannt auf seine inhaltlichen Ideen. Das Entscheidende sind für mich aber nicht die anderen Parteien, sondern der Kontakt zu den Bürgern. Ich möchte der Kandidat aller Österreicher sein, die wollen, dass wir die EU besser machen.

Belebt die Kandidatur des Fernsehjournalisten Freund den österreichischen EU-Wahlkampf?

KARAS: Das wird von ihm selber abhängen. Seine ersten Auftritte haben viel Aufmerksamkeit erregt. In der Europapolitik ist er unerfahren. Aber die EU braucht viel Erfahrung und politische Durchsetzungsstärke.

Was setzen Sie den Emotionen der EU-Gegner und der EU-Kritiker entgegen?

KARAS: Ich glaube, das Überzeugendste ist der Respekt voreinander und die Zusammenarbeit. Nur so kommen Lösungen zustande. Die EU zu verbessern heißt schon auch, Österreich nicht gegen Europa auszuspielen. Österreich darf sich nicht in der EU isolieren. Schuldzuweisungen, Negativparolen und laute Sprüche helfen überhaupt nicht. Die isolieren uns.

Sie helfen nicht, aber viele Leute hören die Negativparolen zu Europa offenbar gern. Wie bringen Sie die Bürger dazu, Ihre Botschaften gern zu hören?

KARAS: Indem wir ihnen die Wirklichkeit darstellen. Und glauben Sie mir: Die Menschen haben ein sehr gutes Gespür. Sie wollen Lösungen, sie wollen den Mehrwert der Gemeinschaft sehen. Und sie spüren in der Familie, in jedem Verein, in der Gemeinde: Die, die nur dagegen sind, die, die laut schreien, bewirken nichts.

Was sagen Sie einem jungen Österreicher, der Angst vor Arbeitslosigkeit hat und meint, die EU sei schuld?

KARAS: Kein Politiker kann einen Arbeitsplatz versprechen, aber wir wissen, dass durch die EU allein in der Steiermark 70.000 neue Arbeitsplätze entstanden sind, die vorher nicht da waren. Die Politik kann nur mithelfen, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig und das Bildungssystem leistungsstark ist. Die EU ist nicht an Arbeitslosigkeit schuld, sondern die beste Versicherung Österreichs gegen Arbeitslosigkeit. Österreichs Wirtschaft ohne die EU wäre wie ein Motor ohne Treibstoff.

Zuletzt ist das Thema Ausländer wieder aktuell geworden. Was ist Ihre Botschaft angesichts der Migration zwischen mittlerweile 28 EU-Staaten, die bei vielen Menschen offenbar Ängste auslöst?

KARAS: Wir haben die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg in Österreich und in Europa durch Zusammenarbeit eigentlich ganz gut bewältigt. Aber wir sind noch nicht heraußen. Diese Krise hat Konsequenzen. Hätte es die Europäische Union, den Euro, die Solidarität innerhalb der EU nicht gegeben, wäre die heutige Krise größer als in den Dreißigerjahren. Das Ärgste hat die EU verhindert und wir sind auf dem Weg nach vorne.

Was bedeutet das für die Ängste vieler Menschen bezüglich der Einwanderung?

KARAS: Angst entsteht auch, wenn man die Menschen allein lässt oder wenn man Ängste schürt. Ich will Angst nehmen, und zwar durch das Gespräch mit den Bürgern. Was die Migration betrifft, halte ich es für verantwortungslos, mit dem Finger auf Europäer, auf Menschen zu zeigen, die nicht österreichische Staatsbürger sind. Was ist das Faktum? Nur drei Prozent der Europäer leben und arbeiten in einem anderen Land als dem eigenen.

Was sagen Sie zu den wieder aufkommenden ausländerfeindlichen Debatten?

KARAS: Ich bedauere die jetzige Diskussion. Die EU ist nicht primär ein Projekt der Unternehmer, sondern ein Projekt der Bürgerinnen und Bürger. Die Reisefreiheit in der EU darf nicht eingeschränkt werden. Wir haben in Österreich ohnehin klare Regelungen geschaffen, um Missbrauch zu verhindern. Wer noch nichts in unsere Sozialkassen eingezahlt hat, hat keinen Anspruch auf Hilfe. Das verlangt die EU auch gar nicht.